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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an
Autoren: Shalom Auslander
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Eiscreme der Tüte untergeordnet? Ist die Tüte der Eiscreme untergeordnet? Die meisten Kalorien kamen von der Eiscreme, vielleicht war also die Tüte der Eiscreme untergeordnet? Hing es von den Kalorien ab? Aber wenn es eine Zuckertüte ist, dann will man ja vor allem die Tüte, also ist die Eiscreme der Tüte untergeordnet? Lieber Gott, war auch noch etwas draufgestreut?
    – EISCREME IN DER TÜTE !, brüllte Rabbi Kahn erneut.
    – Eiscreme in der Tüte!, rief ich. – Kein Segen!
    Die ganze Klasse starrte mich an.
    Wenn ich auf die ganze Episode zurückblicke, hatte Rabbi Kahn mir wirklich keine Wahl gelassen.
    – Kein Segen?, sagte Rabbi Kahn. – Warum kein Segen?
    – Weil, erklärte ich und zwirbelte nervös meine langen weißen Zizijot , – weil … weil es hier im Zimmer nach Kacka riecht.
    Langes Schweigen. Motty kicherte, andere fielen ein. Bald war das ganze Zimmer von Gelächter erfüllt. Rabbi Kahn erhob sich langsam, die dicken Fäuste drückten sich in die Tischplatte.
    Es könnte auch ein Hintertürchen gewesen sein, aber streng genommen hatte ich recht. Rabbi Kahn hatte uns selbst gesagt, unsere Weisen hätten uns gesagt, die Tora sage uns, dass es drei Situationen gibt, in denen es absolut verboten ist, einen Segen zu sprechen: 1. Wenn man einer männlichen Person über neun Jahren gegenübersteht, deren Genitalien zu sehen sind, 2. wenn man einer weiblichen Person über drei Jahren gegenübersteht, deren Genitalien zu sehen sind, und 3. in Gegenwart von Kot.
    Ehrlich gesagt glaube ich, angesichts der zwei anderen Wahlmöglichkeiten gab ich die am wenigsten anstößige Antwort.
    Für einen massigen Mann bewegte sich Rabbi Kahn ziemlich flink.
    – Das stimmt, sagte ich, als er auf mich zuschoss, – die Tora sagt, dass …
    Er packte mich grob am Arm, hob mich vom Boden hoch und schleppte mich zur Tür, wobei er unablässig wütend auf Jiddisch brüllte.
    – Aber es riecht doch nach Kacka!, kreischte ich. – Im Zimmer riecht es nach Kacka! Halt! Im Zimmer ist ein nacktes Mädchen! Ein nacktes Mädchen …!
    Ich stand im Flur, rieb mir den gequetschten Arm und fing an zu weinen. Der Segenwettbewerb war verloren, ich war kein großer Rabbi, und mein Vater war noch immer nicht tot.
    Auf Zehenspitzen schlich ich zur Klassenzimmertür und horchte. Zwei Minuten später wurde Yukisiel Zalman Yehuda Schneck der Matzebrei mit Ahornsirup zum Verhängnis, und als Letzter stand nun noch Avrumi Gruenembaum da.
    – Äpfel!, rief Rabbi Kahn.
    – Äpfel, antwortete Avrumi. – Ha-ez!
    – Masel tow! , rief Rabbi Kahn. – Masel tow!
    Gequirlte Scheiße.
     
    An jenem Abend gab es die für Freitagabend traditionellen gefilte Fisch ( Sche-hakol ) mit kleinen Karottenscheiben ( Ha-adama ). Mein Vater war wieder betrunken, sang Sabbatlieder mit frei erfundenem Text und haute heftig mit der Faust auf den Tisch. Meine Mutter ging in die Küche und holte die Suppe. Als mein Bruder sagte, er wolle keine, schlug mein Vater ihn und schüttete ihm heiße Hühnersuppe ins Gesicht und in den Schoß.
    Meine Mutter ging mit meinem Bruder ins Bad, setzte sich mit ihm auf den Wannenrand und drückte ihm einen kalten Waschlappen auf die Wangen, während ich ins Esszimmer zurückging und die Hühnersuppe vom Boden aufwischte. Hühnersuppe ist ein Sche-hakol , auch wenn sie mit Gemüse gekocht wird, da Huhn der dominante Geschmack in der Suppe ist.
    Rabbi Kahn sagte uns, die Weisen sagten uns, die Tora sage uns, dass der Heilige, gesegnet sei Er, den Ägyptern zehn Plagen geschickt habe, um uns zu lehren, dass Er den Menschen viele Möglichkeiten der Reue gebe, und erst wenn sie weiterhin sündigten, bestrafe Er sie mit dem Tod.
    Ich ging nach unten auf mein Zimmer, tat vier Schritte ohne meine Kipa auf, berührte mich, knipste das Licht an und aus und schlief ein.

3
     
    Mit meinen acht Jahren hatte ich schon zwölf verschiedene Namen für Gott gelernt, nicht eingeschlossen Der, der niemals gesagt werden darf. Es waren Ha-Schem, El, Adonai, Schadai, Er, der voller Gnade ist, Er, der schnell erzürnt ist, der Heilige Geist, die Göttliche Gegenwart, der Fels, der Erlöser, der Hüter der Welten und Der, der war, Der, der ist, und Der, der immer sein wird, was Er ist. Eines Tages lehrte Rabbi Kahn uns die Geschichte von Adam und Eva im Garten Eden, und dabei nannte er Gott »Unser Vater, der im Himmel ist«.
    Ich erschauerte.
    Es gibt noch einen? Im Himmel? Das ist Gott? Ist Er in Unterhosen rumgeschlurft? Wie groß war Seine
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