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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung
Autoren: Meredith Duran
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sich in einem langen Atemzug. Suzie war wahrscheinlich ein ziemlicher Anblick, mit Nells Blut auf den zerlumpten Röcken und so traurig, dass sie sich sicher sehr linkisch benahm. »Ja«, sagte Katherine schließlich, aber ihre Stimme wankte und ließ das Wort wie eine Frage klingen.
    Nell amüsierte sich langsam. Wie sehr sich dieses Mädchen bemühte. Und wie offensichtlich sie scheiterte. »Ist dir zu gewöhnlich, was?«
    »Nein!« Katherines Augen weiteten sich. Für einen Augenblick sah sie einfach nur entsetzt aus. Aber dann richtete sie sich auf und blickte Nell entschlossen an. »Sie ist willkommen«, sagte sie fest. »Alle deine Freunde sind willkommen. Wen auch immer du möchtest. Es ist dein Zuhause, wie ich gesagt habe.«
    Ein kleiner Schalk saß Nell im Nacken. »Das ist so außerordentlich freundlich von dir«, sagte sie näselnd und affektiert.
    Sofort kniff Katherine die Augen zusammen. Sie war nicht dumm. Sie wusste genau, dass Nell sich über sie lustig gemacht hatte. Aber nach einer Sekunde kroch ihr ein winziges Lächeln über die Lippen. »Das habe ich wohl verdient.«
    »Und noch sehr viel mehr«, stimmte Nell zu, aber irgendwie musste sie jetzt ebenfalls lächeln.
    Katherine warf einen Blick über Nells Schulter und erhob sich. »Nun«, sagte sie rasch. »Ich bin unten.« Sie sah Nell an und beugte sich in der gleichen Sekunde zu ihr hinunter – ein Kuss, eine kurze Berührung auf Nells Wange.
    Verwirrt über diesen abrupten Rückzug drehte Nell sich nach ihr um und entdeckte Simon in der Tür. Er trat zur Seite, um Katherine vorbeizulassen, und murmelte etwas, das Nell nicht verstehen konnte.
    Der Klang seiner Stimme traf sie wie ein Blitz. Vor ihrem inneren Auge sah sie sein Gesicht in dem Augenblick, als er die Pistole gehoben hatte. In jenem Moment hatte sie so viel gefühlt, die plötzliche Gewissheit, in Sicherheit zu sein, eine so tiefe Erleichterung, dass ihre Knie nachgaben und sie zu seinen Füßen kniete, als er die Waffe wieder sinken ließ.
    Sie ertappte sich dabei, wie sie aufstand, gepackt von einem plötzlichen Drang zu fliehen, dem sie nur widerstand, indem sie vollkommen still stehen blieb.
    Er kam auf sie zu. »Ich habe den Inspektoren gesagt, dass sie morgen mit dir sprechen können, falls sie es für nötig halten«, sagte er. Seine Stimme war ausdruckslos. Undurchdringlich.
    Sie konzentrierte ihren Blick auf den fadenscheinigen Teppich, bei dem das orientalische Muster an einer Stelle neben ihren Füßen fast völlig abgetreten war. Sie schabte mit den Zehen darauf herum – so würde sie ihn noch ein bisschen verschleißen und noch wertvoller machen, dachte sie. »Danke«, sagte sie.
    Seine Stimme kam jetzt aus größerer Nähe. »Willst du mich nicht ansehen?«
    Nein
. Sie hatte diesen Ort – und ihn – aus guten und vernünftigen Gründen verlassen. Es war richtig gewesen zu gehen. Wie die Dinge lagen, hatte sie keine Wahl gehabt. Aber sie hatte ihn trotzdem verlassen.
    Sie war geflohen wie ein Dieb in der Nacht.
    Ich hatte keine Wahl
, dachte sie, aber vielleicht verstand er das nicht – und sie wollte ihm nicht ins Gesicht sehen und entdecken, dass ihre Entscheidung seine Meinung von ihr verändert hatte.
    »Du musst keine Angst mehr haben«, fuhr er fort. »Beide sind tot. Sie können dir nichts mehr …« Der Rest des Satzes wurde vom dröhnenden Nachhall eines einzigen Wortes übertönt: Angst.
    Nell hob den Kopf. »Ich habe keine Angst.« Ihn zu verlassen hatte ihr übermenschliche Kraft abverlangt. Wenn sie den Mut gehabt hatte, ihn zu verlassen, dann brachte sie auch den Mut auf, ihn jetzt anzusehen. »Ich hatte nie Angst vor ihnen.« Sie hatten nichts damit zu tun, dass sie ihn verlassen hatte. Glaubte er etwa, Grimston hatte sie auseinandergebracht?
    All ihre Ängste hatten sich immer nur um den Mann gedreht, der vor ihr stand, jetzt blinzelte und den Kopf schief legte. Er sah sie an wie eine Fremde. »Freut mich zu hören«, sagte er.
    Sein distanziertes Verhalten traf sie wie eine Ohrfeige. In der nächsten Sekunde hatte sie eine schreckliche Erkenntnis, als hätte sie diese Szene schon einmal durchlebt. Und in Albträumen hatte sie es auch schon durchlebt. Sie hatte immer befürchtet, dass seine Illusionen eines Tages verwelken würden und er endlich sah, wer sie wirklich war.
    Ja
, dachte sie.
Ich bin dir weggelaufen. Jetzt siehst du in mir einen Feigling, eine selbstsüchtige Frau
.
    Sie atmete schwer und zwang sich, seinem Blick standzuhalten. »Ich
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