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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung
Autoren: Meredith Duran
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könnte.
    Ein Schuss pfiff dicht an ihren Köpfen vorbei, vor Nell flog Putz in die Luft. Die Haustür war nur noch vier Schritte entfernt, drei …
    Da verdunkelte sich das Licht, ein großer Mann trat in die Tür. Ein grimmiger, kalter Blick, unbewegliche Augen. Er hob seine Pistole und zielte. Dann schoss er.
    Ein abgehacktes Röcheln. Und dann hörte man einen Körper schwer auf die Treppen fallen.
    Nell ließ Suzie los. Sie taumelte vorwärts und fiel in der Tür auf die Knie.
    Auch der Mann kniete jetzt. Es war Simon. Er sah erschöpft aus, überhaupt nicht kalt und unbeweglich. Seine Hände zitterten, als er ihr Gesicht berührte, aber als er sie an sich zog, war seine Umarmung fest, sein Griff war ruhig und unnachgiebig. Nell saß in Simons Wohnzimmer am Feuer, eine Decke über den Schultern, und beobachtete, wie der Arzt den letzten Stich machte. Die Nadel blitzte, als sie wieder zum Vorschein kam. Er zog den Knoten fest. Ihr Körper fühlte sich an wie Gummi, sie spürte keine Schmerzen.
    Der Arzt warf ihr über den Rand seiner Brille hinweg einen Blick zu, als er eine Schere hervorholte. Hinter ihm sah sie die offene Tür zu Simons Schlafzimmer. In diesem Bett mit den massiven Walnusspfosten war sie Simons Frau geworden.
    Sie starrte das Bett an, es war ein Teil ihrer Geschichte, wo sie gelacht und sich eine andere Zukunft erträumt hatte, eine schöne Zukunft, voller Licht und ohne Blut. Die Erinnerung daran war schon in weite Ferne gerückt. Und sie würde immer mehr verblassen.
    Warum hatte Polly sie unbedingt nach oben bringen wollen? Sie hätte im Salon bleiben können, wo die Polizei alle befragte. Michael und Grimston waren tot, und sie mussten wissen, was geschehen war. Nell könnte dabei helfen. Sie konnte alles ganz genau erklären.
    Aber bei diesem Anblick konnte sie überhaupt keinen klaren Gedanken fassen. Alle Fakten, selbst die einfachsten Ideen entglitten ihr immer wieder. Dieses Bett. Sie hatte nicht geglaubt, dieses Haus je wiederzusehen.
    »Das müsste reichen«, sagte der Arzt. Er verzurrte die Bandage um ihren Unterarm. Nell hatte seinen Namen nicht verstanden, aber für einen Augenblick, als er beruhigend ihre Hand tätschelte, spürte sie, wie ein realer Gedanke ihre Benommenheit durchdrang:
Mum hätte einen Arzt wie Sie gebraucht
, dachte sie.
    Kaum registrierte Nell den Beigeschmack dieses Gedankens – Trauer, bittersüßes Bedauern oder vielleicht nur Dankbarkeit für die erhaltene Versorgung –, als er schon verblasste und ihr wieder kalt war.
    Der Arzt stand auf und wandte sich ab. »Wenn Sie Fieber bekommt«, sagte er, »rufen Sie mich auf der Stelle.«
    »Natürlich«, kam die Antwort, die ihre Betäubung sofort durchbrach. Katherine Aubyn war durch die andere Tür hineingeschlüpft und ließ sich nun wie eine Schlange auf den Stuhl gleiten, auf dem der Doktor gesessen hatte. »Nell«, sagte sie. Ihre Finger legten sich kühl auf Nells Hand, erst leicht wie ein Lufthauch und dann fest und drängend. »Es tut mir so leid«, flüsterte Katherine.
    Nell dachte über Neugier nach und dass sie eine gesunde Dosis Neugier fühlen sollte. Vielleicht sollte sie ein paar Fragen stellen.
Wer hat Sie hergebeten?
Auch ein Hauch Sarkasmus könnte nicht schaden.
Die Polizei ist unten. Vielleicht möchten Sie dafür sorgen, dass Sie mich wieder verhaftet?
    Aber Katherine kam ihr zuvor. »Ich erwarte nicht … hoffe nicht auf Ihre Vergebung.«
    »Gut.« Wie dumm musste man sein, um dieser falschen Schlange noch einmal zu vertrauen.
    Katherine befeuchtete ihre Lippen. »Aber wenn Sie … wenn Sie jemals Erbarmen haben und mich erklären lassen …«
    Nell gestattete sich ein schwaches Lächeln. Was erklären?
Das mit der Verhaftung tut mir leid, ich war
… Gelangweilt? Geldgierig? Sie zuckte mit den Achseln. »Ich habe kein Interesse.«
    »Ich will mich nicht rechtfertigen«, sagte Katherine heiser. »Ich weiß, dass es unverzeihlich war. Aber … wenn ich etwas über mich sagen dürfte … darüber, was Grimston über Sie und mich gesagt hat, und vielleicht bei einem Gespräch auch etwas über Sie erfahren könnte … Es wäre mein größter Wunsch, dich kennenzulernen …« Sie stieß den Atem aus, und ihre Hand verkrampfte sich, bevor sie abrutschte. »Meine Schwester kennenzulernen«, sagte sie sehr leise. »Nell, ich wäre so dankbar dafür.«
    Nell starrte sie an. »Deine … Schwester.«
    »Ja«, Katherine machte eine Faust und legte sie sich auf die Brust. »Hier«, sagte sie. »Hier
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