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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Nummer noch wie ich sie erreichen könne.
    Das fiel mir erst im Lauf der nächsten Wochen ein, als ich auf ihren Anruf wartete, der nicht kam.
    Dann rief mich meine Mutter eines Nachmittags und sagte mit fragendem Blick, am Telefon sei eine gewisse Claire für mich.
    An jenem Abend gingen wir aus und sprachen wieder – auf Französisch und auf Italienisch – über eine Menge Dinge. Darüber, was sie vorhatte, was ich vorhatte, was das Schicksal mit uns vorhatte, über ihren Freund, der in Frankreich war, über meine Freundin, die in Bari war und der ich einen schönen Bären aufgebunden hatte, um an dem Abend mit Claire ausgehen zu können. Über die Form, die die Wellen annahmen, wenn das Scheinwerferlicht der Autos auf sie fiel. Ich hätte gern ihre Hand genommen und sie gestreichelt und ihr gesagt, dass sie das schönste Geschöpf war, das ich je gesehen hatte, und sie dann geküsst. Aber sie wirkte so zufrieden mit unserer
Unterhaltung, so freundschaftlich gesinnt. Sie schien derartig froh darüber zu sein, dass wir Freunde waren – vielleicht sagte sie auch, dass die Männer sich immer auf sie stürzten und wie schlimm sie das fand -, dass ich es einfach nicht über mich brachte. Wir saßen auf den Felsen, mit sicherem Abstand zu der spritzenden Gischt; das Auto stand offen und aus den Lautsprechern ertönten die Dire Straits mit Tunnel of Love . Es war ein schöner Abend, und ich dachte, dass es eigentlich egal wäre, ob etwas passierte oder nicht; besser, sie behielt mich in guter Erinnerung, als wenn ich es wie alle anderen bei ihr probierte, zurückgewiesen wurde und alles kaputt machte.
    Ich brachte sie zum Studentenheim zurück, und wir trennten uns mit einem Kuss auf die Wange. Ein paar Tage später rief sie mich an, um sich zu verabschieden. Sie ging nach Frankreich zurück, nach Bordeaux.
    Einige Zeit später bekam ich einen Brief; der Poststempel war französisch, der Umschlag mit mehreren Blättern gefüllt. Er enthielt einen langen Brief, halb auf Französisch, halb auf Italienisch verfasst.
    Sie schrieb mir, was sie so trieb. Über ihre Arbeit, nach dem Examen, an der Uni. Ihr Freund, ihre neue Wohnung – falls ich nach Bordeaux käme, sei ich ihr Gast – und ähnliche Dinge.
    Dann, fast schon zum Schluss: die Frage. Sie hätte sie mir eigentlich an jenem Abend stellen wollen, oder auch bei unserem Abschiedstelefonat, aber sie hätte nicht gewusst, wie sie das anstellen sollte, oder sich nicht getraut.

    » Du wirst diese Frage seltsam finden. Aber mochtest du mich? Ich meine, als Frau. An dem Abend, als wir ausgegangen sind, während wir uns unterhielten, dachte ich, mein Gott, immer baggern dich alle an, und das einzige Mal, wenn du gern hättest, dass es jemand bei dir probiert, dann sitzt der Typ nur brav da, ganz nah neben dir, und redet und redet …
    Jetzt könntest du sagen: Aber warum hast du denn nichts getan, wenn du Lust dazu hattest? Und das wäre eine berechtigte Frage. Aber du schienst so … wie soll ich sagen, so zufrieden und freundschaftlich gesinnt. Ich dachte, ich würde mich blamieren. Jetzt, wo ich dir schreibe, weiß ich nicht einmal, ob ich die Antwort wissen will.«
    Sie sagte, sie würde jene Nacht jedenfalls nie vergessen. Warum, könne sie nicht genau sagen, aber sicherlich würde sie sie nie vergessen.
    Als ich die Blätter niederlegte, spürte ich, wie meine Knie zitterten und wie tief in mir die Gewissheit von etwas nie wieder Gutzumachendem war.
    Warum war ich so ein Idiot gewesen? Warum war ich immer noch so ein Idiot?
    Ich nahm Stift und Papier, um ihr zu antworten.
    Ich liebe dich. Ich bin ein Idiot, aber ich liebe dich. Jetzt springe ich in den nächsten Zug oder irgendein anderes Transportmittel und komme nach Bordeaux. Verzeih mir, bitte verzeih mir. Wir werden die verlorene Zeit nachholen. Wir werden zusammen ausreißen, nach Amerika vielleicht, und von einer Küste zur anderen fahren. Wir werden ein Cabrio haben und Nächte voller Sterne
und endlose Straßen und Ozeanwellen. Wir werden miteinander schlafen, Claire. Ich höre meine Stimme, die immer wieder deinen Namen sagt, während wir uns eng aneinanderschmiegen in dieser unendlichen Nacht. In dieser vierundzwanzigjährigen Nacht, die für uns beide nie vergehen wird. Mein Gott, wie sehr ich dich liebe. Ich habe dich vom ersten Moment an geliebt, in dem ich dich sah.
    Das ist nicht wahr. Ich schrieb nichts von all dem. Besser gesagt: Ich schrieb etwas in der Art auf ein Blatt, das ich dann zerriss und
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