Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari
Autoren: Gianrico Carofiglio
Vom Netzwerk:
der wir hier mit dem Bus losgefahren sind, zum Zelten an den Gargano?«
    »Ja, natürlich. Ich wollte nicht mit, ich hatte Zelten immer gehasst.«
    »Aber dann hatten wir jede Menge Spaß.«
    » Du hattest Spaß. In welchem Jahr war das?«
    »1982?«
    Er antwortete nicht, sondern kickte eine zerknüllte Zigarettenschachtel durch die Luft. Der Wind sprühte das Wasser vom Brunnen in unsere Richtung, und wir stellten uns in den Windschatten.
    »Ich war ganz schön peinlich vorhin.«
    Beinahe hätte ich reflexartig so etwas gesagt wie: Mach dir keine Gedanken, du warst eben beschwipst. Aber mir war klar, dass eine Verharmlosung des Vorgefallenen einen Mangel an Respekt bedeuten würde, und so zuckte ich nur die Achseln.
    »Ich kannte sie schon vor dir. Daria. Erinnerst du dich?«, sagte er nach einer Weile.
    Ich erinnerte mich nicht, aber ich sagte es nicht. Mir kam ein Liedertext in den Sinn. Quante volte per altri è vita quello che per noi è un minuto. Wie oft ist für die anderen Leben, was für uns nur eine Minute ist.
    »Ich mochte sie unheimlich gern«, sagte er wie zu seiner Entschuldigung.
    »Das hast du nie gesagt.«
    »Das stimmt. Aber hattest du es nicht gemerkt?«
    »Ich glaube, nicht.«
    Dann, nach einer Pause: »Ich hoffe, nicht.«
    »Am Anfang dachte ich auch, dass du es überhaupt
nicht gemerkt hättest. Was ja auch zu deiner Rolle passte. Dann überzeugte ich mich jedoch vom Gegenteil. Ich dachte, das mache es mir leichter, dich zu verachten.«
    »Das leuchtet mir ein.«
    »Wir sahen uns beinahe jeden Nachmittag zum Kaffee oder manchmal auch abends, wenn du beim Training warst.«
    Ich nickte. Dem war nichts hinzuzufügen.
    »Zwischen uns war nie etwas.«
    Ich nickte erneut. Mit unbeteiligter Miene, aber erleichtert.
    »Aber wir redeten eine Menge, was ja an sich nicht schlimm ist. Das Ärgerliche an der Sache ist nur, dass wir immer über dich sprachen.«
    »Ich gebe zu, dass dieser Gesprächsstoff, auch wenn er zu meinen Lieblingsthemen gehört, auf Dauer etwas ermüdend ist.«
    Er lächelte zum ersten Mal richtig.
    »Du Mistkerl. Ich denke das nicht, was ich vorher gesagt habe.«
    »Lügner, du denkst es wohl.«
    Er wartete ein paar Sekunden.
    »Du hast recht. Aber ich denke nicht nur das. Es gibt noch einen anderen Teil, und ohne den wäre das Bild unvollständig. Bin ich verrückt?«
    »Vielleicht nur ein Arschloch.«
    Zweites Lächeln.
    »Vielleicht bin ich ein Arschloch, richtig. Occam hätte diese Erklärung gefallen.«
    »Wie auch immer. Damit du dich nicht unnötig mit
Schuldgefühlen quälst – glaub mir, nach einigen Rezensionen, die ich bekommen habe, gibt es nichts mehr, was mich verwunden könnte.«
    »Weißt du, dass ich keines deiner Bücher gelesen habe?«
    Ich zog fast unmerklich die Schultern hoch, mit einer Geste, die Gleichmut signalisierte. Kein Problem, sollte das heißen. Das ist nichts, was irgendeine Bedeutung für mich hätte.
    Falsch.
    In Wirklichkeit hatte ich mich bisweilen gefragt, ob er je etwas von mir gelesen hatte. Ich hatte mir mit Nein geantwortet und jedes Mal einen leichten Groll herunterschlucken müssen. Den hatte ich allerdings so erfolgreich verdrängt, dass ich erst jetzt merkte, dass er sich angehäuft hatte und dass er da war.
    »Manchmal passiert es – seit du übersetzt wirst -, dass mich jemand fragt, ob ich deine Bücher kenne. Ich antworte dann immer, dass ich keine Zeit für Romane habe, dass ich lieber Sachbücher lese und anderen Unsinn. Natürlich lese ich Romane, leidenschaftlich gerne sogar. Ich habe es bisher einfach nicht über mich gebracht, ein Buch von dir zu lesen und nicht einmal, eines zu kaufen.«
    »Warum?«, fragte ich. Aber ich kannte die Antwort schon.
    »Ich konnte deine Bücher einfach nicht lesen. Ich konnte das Risiko nicht eingehen, dass sie mir gefielen, ich musste meinen Groll pflegen. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ja.«

    »Aber im Geiste habe ich dich rezensiert, mehrmals. Wer war das, der gesagt hat, er lese nie ein Buch, das er rezensieren soll, um nicht voreingenommen zu sein?«
    »Kenne ich nicht. Und was schreibst du in diesen Rezensionen?«
    »Stilistisch banal, aber geschickt gemacht. Ein gewitzter, aber im Grunde harmloser Schriftsteller, der nichts bewegt, nichts Neues sagt. In ein paar Jahren wird sich keiner mehr an ihn erinnern.«
    »Na, das ist nicht auszuschließen.«
    »Du wolltest immer schon Schriftsteller werden. Aber ich habe nie damit gerechnet, dass du das wahrmachen würdest. Es war eben eine von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher