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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari
Autoren: Gianrico Carofiglio
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im Dunkeln.
    Zu jener Zeit flogen vom Flughafen Bari aus nur Alitalia-Maschinen nach Rom und Mailand, und man ging zu Fuß über das Rollfeld bis zum Flugzeug. Die ganze Anlage wirkte eher wie ein Busbahnhof, nur größer. Die Autos parkten, wo es ihnen passte. Es gab eine Bar, ein paar Läden und Spatzen, die durch die große Eingangshalle flatterten. Alles in allem eine gemütliche Angelegenheit.
    Heute gehen vom Flughafen Bari – einem modernen, effizienten, großstädtischen Gebäude – Flüge überallhin ab, nach Italien, Europa, New York. Es gibt Finger, um zu den Flugsteigen zu gelangen, Bars, Buchhandlungen, Restaurants, Boutiquen. Es gibt ein großes, dreistöckiges Parkhaus, und das Ganze vermittelt die Idee einer beinahe überraschend hereingebrochenen Zukunft.
    Die Piste neben der Einfriedung ist allerdings gleich geblieben, und abgesehen von ein paar Chartermaschinen nach Scharm El-Scheich oder ähnlichen Orten verkehren dort nach wie vor nur das Postflugzeug und die Frachtmaschinen.
    Wir saßen auf der Erde, die Luft war klar und unsere Augen hatten sich schnell an die Dunkelheit gewöhnt. Auf der Piste zeichnete sich der Umriss einer Kargomaschine ab, und man sah undeutlich die Bewegungen eines Menschen, der dort arbeitete. Aus dem Auto erklangen die Töne der Cavalleria rusticana – das Intermezzo -, die sich mit der Landschaft vermischten wie ein nächtlicher Duft.
    Dann wurde die Musik vom Geräusch des Flugzeugs
untermalt, das sich langsam in Bewegung setzte und auf die Lichter der Abflugpiste zurollte, die wie eine durch die Unendlichkeit schwebende Straße aussah.
    Diese Szene war identisch mit der vor vielen Jahren. Das Dröhnen ließ die Musik verschwinden, die Maschine nahm Anlauf, und wenige Meter, bevor die Lichter ausgingen und die Piste wieder im Dunkel versank, stieg sie auf und verschwand zwischen Himmel und Meer.
    Ich saß dort mit meinen Freunden, aber ich sah die Szene von außen, so wie jetzt. Sie schob sich über die von vor fünfundzwanzig Jahren, ohne dass ich die heutigen Elemente von den damaligen und das Wahre vom Erfundenen hätte trennen können.
    Ich sah uns drei Männer und dachte, dass es richtig war, dort zu sein, und dass es richtig war, dass Paolo mir diese Dinge gesagt hatte, und dass Giampiero uns seinen heimlichen Kummer gestanden hatte; ich wusste aber auch, dass wir diese Nacht zum letzten Mal zusammen waren, wir drei. Und vermischt mit den Lichtern der Piste und den Schatten der Olivenbäume sah ich – wie es angeblich in den letzten Lebensminuten passiert – noch einmal eine Sequenz aus Abenteuern vor meinem geistigen Auge vorüberziehen: Es kamen Mädchenträume darin vor, Bücher, Gespräche, wütende Lust, Sport, Filme, Fäuste, Spucke und Tritte ins Gesicht, Besäufnisse und Musik.
    Dann waren da noch Angst und Mut, die, wenn sie nicht zusammen auftreten, nichts wert sind. Tatsächlich vorgefallene Dinge mischten sich mit anderen, die ich den Erinnerungen hinzugefügt habe, ohne es zu wissen
und ohne es zu wollen, weil das Geschichtenerzählen eine heimtückische, unheilbare Krankheit ist.
    All das war in jenem Netz von rechtwinkligen Straßen geschehen, in denen an manchen menschenleeren Sommernachmittagen, wenn der Maestrale weht und die Luft ganz klar ist, jede Ecke einen Fluchtpunkt in eine verheißungsvolle Unendlichkeit bildet.

ZWÖLF
    Der Abend schien zu Ende zu sein.
    Giampiero parkte vor Paolos Hotel an der Piazza Moro. Die Bahnhofsuhr zeigte 3.45.
    Wir stiegen zum etwa zehnten Mal an jenem Abend aus dem Auto und blieben stehen. Alle drei verlegen. Jeder aus einem anderen Grund, oder auch alle aus demselben.
    Paolo umarmte Giampiero, und dann umarmte ich ihn. Unglaublicherweise gelang es mir, ihm leise etwas zu sagen. Ich sei sicher, er würde bald eine Therapie für seine Tochter finden. Diese Dinge entwickelten sich so schnell, und die Zeit sei immer noch auf unserer Seite, Gott sei Dank. Genauso sagte ich es: »Die Zeit ist auf unserer Seite«, und es klang gut, so, als hätte ich den richtigen Akkord angeschlagen. Er sah mich an, und seine Augen kamen mir vor wie die meines Hundes, als ich ihm einmal einen Dorn aus der Pfote gezogen hatte.
    »Willst du noch ein paar Schritte gehen?«, fragte mich Paolo.
    Ich nickte. Das war ein natürliches Nachspiel. Auch Giampiero wusste das. Er hob einfach die Hand zum Gruß, stieg ins Auto und fuhr weg.
    Als wir allein waren, gingen wir los, in Richtung Brunnen.

    »Erinnerst du dich an die Nacht, in
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