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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari
Autoren: Gianrico Carofiglio
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deinen Aufschneidereien, auch wenn nur wenige gemerkt haben, dass sie das waren.«
    »Du und Daria, ihr habt es gemerkt. Ihr habt Seminare über meine Aufschneidereien gehalten.«
    Er lächelte wieder.
    »Als ich hörte, dass du ein Buch geschrieben und sogar veröffentlicht hast, konnte ich das zuerst nicht glauben. Ich dachte, du hättest wahrscheinlich einen Verleger an der Nase herumgeführt. Ich dachte, vielleicht hattest du Beziehungen. Ich habe mir alle möglichen Erklärungen gegeben, nur nicht die, dass du einfach ein schönes Buch geschrieben hast. Dass es wahr sein könnte.«
    Dann verstummte er, so, als habe er zwar noch etwas zu sagen, fände aber nicht die richtigen Worte.
    Wir saßen auf der Einfassung der Blumenbeete, die den Brunnen umgeben. Zu unserer Rechten lag der Bahnhof mit seinem Fluss aus Gleisen, die die Stadt in zwei Teile
spalten und den Verkehr zum Durchdrehen bringen. Vor uns stand das Hochhaus, das das frühere Gebäude der »Gazzetta del Mezzogiorno« ersetzt hatte.
    Es war ein schönes Bauwerk gewesen, das der »Gazzetta«, mit gebückten, steinernen Riesen, die die ganze Struktur zu stützen schienen und ihr eine ernste Wichtigkeit verliehen, die mir ausgesprochen gut gefiel. Es war ein schlimmer Schlag für mich, als sie es abrissen.
    Ich weiß nicht, wie lange wir nichts sagten.
    »Ich hatte mir immer gedacht, dass du eines Tages aus Bari weggehen würdest. Du sagtest immer, du wolltest in Paris oder New York leben, oder in irgendeiner anderen Metropole der Welt. Was du tun würdest, war nicht ganz klar, aber dass du dort hingehen würdest, schien so gut wie sicher. Du sagtest immer, dass du diese Stadt nicht ertrügest und dass der ›amoralische Familismus‹ und der Geschäftsgeist ihrer Einwohner dir zuwider seien. Ich erinnere mich noch, dass du das auch in der Nacht vor deinem Examen sagtest. Du sagtest, Bari sei eine Stadt ohne Ironie und ohne Melancholie.«
    »Das ist ein Satz von Mario Sansone, bei dem meine Mutter studiert hat. Er war ein Schüler von Benedetto Croce und ihr Professor für italienische Literatur.«
    »Und jetzt bist du hier. Wie kann jemand behaupten, du seiest kein Schlawiner?«
    »Ich bin ein Schlawiner. Aber wollen wir mal über dich reden? Du hast immer gesagt, dass man bleiben muss, um die Dinge zu ändern, die einem nicht passen. Dass es nicht richtig ist, wegzugehen, und dass das einer der Gründe war, weshalb du nicht auf die Elite-Uni in Pisa
gegangen bist. Wie kann jemand behaupten, du seiest kein Schlawiner?«
    Er kicherte.
    »Zwei Meister der Konsequenz.«
    »Der Schlimmere bin ich. Ich bin Weltmeister in der Disziplin Versagen.«
    Und dann erzählte ich ihm die Sache mit Claire.

    Ein paar Monate nach meinem Examen lernte ich eine Französin kennen, die zum Studium nach Bari gekommen war. Sie war Archäologin und wollte ihre Doktorarbeit über die vorrömischen Völker in Apulien schreiben: Peukezier, Japigen, Daunen und so weiter. Ich lernte sie auf einem Fest kennen, und als wir einander vorgestellt wurden, sagte ich zu ihr, wenn sie es leid sei, Italienisch zu sprechen, könnten wir uns ruhig auf Französisch unterhalten. Dann verlor ich sie aus den Augen zwischen all den Leuten, die tranken, rauchten, tanzten, sich berührten. Sie war das schönste Mädchen, dem ich je begegnet war. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kann ich sagen, sie war das schönste Mädchen, das ich in meinem ganzen Leben kennengelernt habe.
    Während ich auf einem Sofa saß und den hitzigen Reden eines Typs lauschte, der gerade den zweiten Joint rauchte und mir erzählte, dass er seit drei Jahren eine Psychoanalyse machte – ohne Erfolg, dachte ich -, kam sie und setzte sich zu mir. Sie setzte sich auf die Armlehne des Sofas und fragte, ob ich Lust hätte, Französisch zu reden. Ihr Ton klang ein klein wenig herausfordernd. Als
wollte sie sagen, wir wollen mal sehen, wie dein Französisch ist, nachdem du so angegeben hast. Aber mein Französisch war gut, denn meine Mutter hatte es mir beigebracht, als ich klein war.
    Also unterhielten wir uns – teils auf Französisch, teils auf Italienisch – für die Dauer der Party, bis spät in die Nacht, tranken Wein und rauchten ihre Zigaretten. Als wir uns verabschiedeten, fragte sie mich, ob sie mich anrufen könne, und ich sagte, ja, das könne sie durchaus, und gab ihr meine Nummer von zu Hause, denn damals gab es noch keine Mobiltelefone. Mit meiner üblichen Geistesgegenwärtigkeit fragte ich sie weder nach ihrer
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