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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Antwort.
    »Ja, ich glaube, das stimmt«, sagte er schließlich.

EPILOG
    Die Focaccia nach bareser Art wird mit Weizenmehl, Salz, Hefe und Wasser gemacht. Man bereitet damit einen ziemlich flüssigen Teig zu, den man in eine Form gießt, ihn dann mit Öl, frischen Tomaten und Oliven belegt und im Holzofen backt. Weil der Teig weich ist, sinken die Tomatenstückchen und die Oliven tief ein und bilden kleine Krater, in denen sie sich ausbreiten und die der beste Teil der Focaccia sind. Man isst sie warm, aber nicht heiß, in ein Stück Butterbrotpapier gewickelt, wenn man aus der Schule kommt, am Meer, zum Abendessen oder auch mittags (oder auch als Pausenbrot oder Imbiss, aber das ist was für Experten): eine schnelle, billige und wunderbar fettige Angelegenheit.
    Die Focaccia gehört zu den besten Dingen der Welt. Ich halte mich zurück, sie nicht das Beste auf der Welt zu nennen, um den anderen Dingen noch eine kleine Chance zu geben und nicht im heimatseligen Delirium zu versinken. Es gibt knusprige, dünne Varianten und dicke, weiche, welche, die mit Kartoffeln belegt sind und andere mit Rosmarin oder wieder anderen Zutaten. Die echte Focaccia ist allerdings die mit Tomaten und Oliven und verbranntem Rand und sonst gar nichts. Sie wird möglichst von einem schön kalten Bier begleitet. Wer Lust auf
einen Ausflug in die höheren Kochgefilde hat, der kann den Hochgenuss einer warmen, mit hauchdünner Mortadella gefüllten Focaccia ausprobieren. Die sehr fein aufgeschnittene Mortadella entwickelt beim Kontakt mit dem warmen, reschen Teig ein Aroma, das die Speicheldrüsen durchdrehen lässt.
    Im Gegensatz zu vielen guten Dingen, die selten und teuer sind, gibt es die Focaccia in Bari an jeder Ecke, wo ein Bäcker ist. Das heißt überall, und jeder kann sie sich leisten.
    Die Focaccia ist in Bari eine Metapher für Gleichheit und eines der wenigen Symbole (darunter, nicht zu vergessen, auch rohe Miesmuscheln), in denen die Einwohner Baris ihre gemeinsame Identität wiederfinden.
    Vor ein paar Stunden hatte Paolo gesagt, was ihm am meisten fehle, sei der Duft der Focaccia.

    Mein Schritt war entschieden, so, als habe ich ein bestimmtes Ziel, und das stimmte auch. Paolo fragte mich nicht, wohin wir gingen. Es begann bereits zu dämmern, und vereinzelte Wolken standen am Himmel. Sie verliehen ihm eine dramatische Färbung, die einem jedoch keine Angst machte. Eine Art heroischer Zweideutigkeit war im Himmel und in meinen Gefühlen.
    Bisweilen fuhr ein Auto vorbei.
    Nach zehn Minuten schweigendem Fußmarsch waren wir in der Nähe der Bäckerei angekommen. Ich war fast sicher gewesen, dass es sie noch gab, obwohl ich seit Jahren nicht mehr in der Gegend gewesen war. Etwa fünfzig Meter davor erreichte uns der Duft der Focaccia.

    Paolo blieb wie angewurzelt stehen. Er hob lediglich ein wenig den Kopf und schloss die Augen. Ich blieb auch stehen und drehte mich zu ihm um. Wir standen eine Weile still da. Paolo schien so viel wie möglich von dem Duft einsaugen zu wollen, um ihn mit zum Ufer des Lake Michigan zu nehmen.
    »Weißt du, dass ich alles geben würde – alles -, um noch einmal einen jener Maitage zu erleben?«
    Ohne dass er es mir erklärte, wusste ich sofort, was er damit meinte. Ich nickte leicht; umsonst, denn er sah mich nicht an. Er sah dorthin, in die Ferne, durch die Zeit hindurch, bis zu den weiten und unbezwingbaren Prärien seiner und meiner Jugend.
    »Wir kamen hierher, um Focaccia zu kaufen, und fuhren dann ans Meer, nach Capitolo oder Torre Canne. Ich sehe sie vor mir, diese einsamen Strände. Ich sehe das glasklare Wasser vor mir und kann es spüren, es ist ganz kalt. Solches Wasser gibt es nicht dort, wo ich bin.«
    Er rieb sich wieder das Gesicht und schöpfte Atem.
    »Und dann der Geruch der Pflanzen, wenn der Schirokko weht. Der Wacholder, der wilde Lorbeer, der Kapernbusch, der Rosmarin und all die anderen Pflanzen, deren Namen ich nicht weiß. Wenn diese Brise dir entgegenwehte und du nass warst und die Maisonne dich wärmte und du eine Gänsehaut hattest und Wassertropfen am ganzen Körper, dann schien alles möglich zu sein. Verdammt, alles war damals möglich. Alles war perfekt. Ich würde alles geben, um noch einmal einen dieser Momente zu erleben, ein einziges Mal. Manchmal denke
ich derartig intensiv daran, mit einer solchen Sehnsucht, dass ich es für möglich halte. Dann scheint mir, dass keines der guten Dinge wirklich vorbei oder verloren ist.«
    Wer weiß, ob damals wirklich alles
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