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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari
Autoren: Gianrico Carofiglio
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hierhergeführt.
    »Oh, entschuldige, das tut mir sehr leid« – mitfühlender Gesichtsausdruck -, ach so, sie war schon seit vielen Monaten leidend, es war also eine Erlösung gewesen, für sie und alle Beteiligten. Doch, ich erinnerte mich richtig, sie war noch nicht sehr alt, aber eben schon lange sehr krank gewesen. Vor mehreren Jahren war sie zu ihrer Tochter nach Lecce gezogen, aber die letzte Zeit war es ihr so schlecht gegangen, dass sie im Krankenhaus lag.
    Paolo und seine Schwester waren nach Bari gekommen, um sich um die Erbschaft zu kümmern. Ganz praktisch hieß das: Sie mussten die Wohnung verkaufen, in der sie aufgewachsen waren, und dann würden sie ihre Heimatstadt endgültig hinter sich lassen, denn es gab nichts und niemanden mehr dort, keine Verbindung mehr. Die Wohnung hatten sie an diesem Nachmittag verkauft. Die Abwicklung hatten sie einem Notar überlassen, der ein alter Schulkamerad und Kommilitone war, vom No – tariat Giampiero Lanave, dem Nachfolger von Gaetano
Lanave. Giampiero hatte nämlich das Notariat von seinem Vater übernommen.
    Während Paolo mir das erzählte – wie jemand, der höflich Formalien abspult -, fiel mir ein, dass wir über die Wohnung sprachen, in der wir vor vielen, vielen Jahren gemeinsam für die Prüfung in Wirtschaftsrecht gelernt hatten. Ein Stich ging mir durchs Herz.
    Paolo wollte erst am nächsten Tag abreisen und war an diesem Abend allein in Bari. Seine Schwester war gleich nach Unterzeichnung des Kaufvertrags nach Lecce zurückgekehrt. Deshalb hatte der alte Lanave vorgeschlagen, mich zu »überfallen« – mich also so knapp vorher anzurufen, dass ich keine Zeit hätte, mir eine Ausrede auszudenken. Und jetzt saßen wir hier, in diesem riesigen, angeberischen, nach Leder riechenden, unnützen Auto: drei Fremde, die ein plötzlicher Zeitsprung wieder zusammengeführt hatte. Ich dachte an solche und ähnliche Dinge, aber Giampiero bremste meine spekulativen, zwischen Zynismus und Melancholie schwankenden Abschweifungen, sobald er losgefahren war.
    »Also, Jungs, zuerst einmal gehen wir essen. Und dann ziehen wir um die Häuser und zeigen dem Mann aus Chicago, wie Bari sich in den letzten Jahren verändert hat. Und dass wir anderen Städten in nichts nachstehen.«
    Paolos Gesichtsausdruck verriet, dass er lieber woanders wäre (auch wenn er vielleicht selbst nicht genau sagen konnte, wo) und dass er hoffte, die Angelegenheit würde nicht allzu lange dauern. Keiner konnte mein Gesicht sehen, denn ich saß hinten, aber ich glaube, mein Ausdruck war ungefähr derselbe.

    Wir glitten über die Seepromenade Imperatore Augusto, die an der alten Stadtmauer entlangführt, bogen am Fortino Sant’Antonio ab und fuhren am Gran Cinema Margherita vorbei, das verbarrikadiert und mit Plakaten beklebt war, die eine baldige Renovierung und Neueröffnung verhießen.
    Kurz darauf fanden wir einen Parkplatz, der tatsächlich den übertriebenen Maßen von Giampieros Auto entsprach. In diesem Viertel und zu dieser Uhrzeit war das ungefähr so sensationell und unwirklich wie die Vorstellung, dass Charlize Theron verkündete, sie wolle den Rest ihres Lebens (oder wahlweise, als zweitbeste Alternative, auch nur die nächste Nacht) mit mir verbringen. Beim Aussteigen fragte ich Giampiero, wie er es geschafft hatte, sich das legendäre Glück zu bewahren, das er schon in seiner Jugend beim Poker und beim »Chemin de fer« gehabt hatte.
    Um ehrlich zu sein, sagte ich nicht »legendäres Glück«, sondern »verdammtes Schwein«. Er sah mich mit einem merkwürdigen Lächeln an, aus dem ich nicht ganz schlau wurde, und machte uns ein Zeichen, ihm zu folgen.

ZWEI
    Wir hatten uns im Gymnasium kennengelernt und waren bis zum Abitur in einer Klasse gewesen, aber damals kannten wir uns eigentlich noch nicht wirklich. Freunde waren wir erst an der Uni geworden, obwohl wir eigentlich nichts gemeinsam hatten, außer dass wir alle drei Jura studieren wollten. Allerdings jeder aus einem anderen Grund.
    Das beste Motiv hatte Giampiero. Sein Vater war Notar, und er würde auch Notar werden, daran gab es keinen Zweifel. Giampiero war jemand, der ganz genau wusste, was er wollte, und der sich nicht von unnützen Gedanken irremachen ließ. Er hatte immer sorglos gelebt und eine durchaus angenehme, um nicht zu sagen luxuriöse Existenz geführt: mit Villen am Meer, Chalets in den Bergen, teuren Autos, teuren Kleidern und immer mehr Geld in der Tasche, als wir anderen uns träumen ließen. Er war
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