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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari
Autoren: Gianrico Carofiglio
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mit einer Flasche Fiano Minutolo. Er öffnete sie, roch am Korken
und füllte dann ein paar Zentimeter von Giampieros Glas.
    Der eröffnete das übliche Ritual echter oder vorgeblicher Weinkenner: Er ließ den Wein im Kelch kreisen, den er am Stiel hielt, dann roch er daran, trank und behielt das Getränk mit verklärtem Ausdruck eine Weile im Mund. Der Blick wanderte nach oben, auf der Suche nach irgendetwas Rätselhaftem. Am Schluss nickte er feierlich.
    Abgesehen vom Ritual war der Wein wirklich gut und das Essen bemerkenswert.
    Die Küche war apulisch, aber, wie man so sagt, neu interpretiert. Die Speisekarte erklärte, dass die Gerichte, die in diesem Restaurant serviert wurden, »aus der Begegnung zwischen apulischer Tradition und der fortschrittlichsten internationalen Entwicklung der Gastronomie« hervorgegangen seien.
    Ich bin kein Liebhaber solcher Worte. Als die Kellner jedoch begannen, uns in rhythmischer Folge ein Gericht nach dem anderen zu bringen, entschied ich, dass ein paar stilistische Ausrutscher auf der Speisekarte absolut nebensächlich waren – immerhin handelte es sich um eines der besten Abendessen meines Lebens. Ich erinnere mich nicht mehr an jedes Detail, aber grob geschätzt passierten unseren Tisch erst rohe Tintenfischbabys mit kaltgepresstem Olivenöl und Sojasoße, dann Austern, Riesenseeigel, Löwenzahnwickel mit Bohnenpüree, Krabben auf Kichererbsenpüree, verschiedene Käse mit Pfefferoni-, Tomaten-, Zwiebel- und Paprika-Marmelade, salzige Kringel, Friselle mit Tomaten und Ricotta marzotica,
frittierte süße Oliven, Panzerottini, frittierte Teigtaschen, mit Mozzarella und Tomaten-Füllung, mit pikantem Ricotta, mit Fleisch und Murgia-Kräutern, ganze getrocknete und in Öl eingelegte Tomaten, passierte getrocknete Tomaten als Brotaufstrich, Burrata, kleine Mozzarella-Kugeln, Ricotta-Variationen, wilder Löwenzahn, wilde Cardoncelli-Pilze, die kostbarer sind als Trüffel und nur in den unzugänglichsten Gegenden der Hohen Murgia wachsen, Ackerbohnen und Löwenzahn mit frittierten Brotstückchen und roten Zwiebeln aus Acquaviva; Reis, Kartoffeln, Miesmuscheln, Getreide, Zwiebeln und Zucchini, Ravioli aus Roter Beete mit Bohnenpüree, Zuckerrübenpüree mit Anchovis.
    Um uns den letzten Rest zu geben, wollte der Wirt uns noch, wie er wörtlich sagte, »eine schöne Grillplatte mit Thunfisch, Languste und Pulpo« zubereiten lassen. Giampiero war schon drauf und dran zuzustimmen – Paolo und ich flehten jedoch um Erbarmen, und nach einigem Hin und Her wurden wir begnadigt.
    Was das Dessert anging, war jedoch nichts zu machen, und schon bald steuerte eine lange Prozession, bestehend aus Bocconotti, Ricottatorte mit heißer Zimt-Schokoladensoße, Blätterteig mit Mascarpone, Mandeltörtchen, frittiertem und mit Quitten-Honig überzogenem Blätterteig und getrockneten Feigen mit Mandelfüllung samt Schokoladenüberzug auf uns zu.
    Nach dem Weißwein waren wir zu einem Negroamaro übergegangen, und zum Nachtisch wurde uns ein Muskatwein aus Trani gebracht, der angeblich eine große Anzahl von Preisen gewonnen hatte. Bestimmt war keiner
von uns dreien Antialkoholiker, aber die Art und Weise, wie Paolo sein Glas leerte und sofort wieder auffüllte, gefiel mir gar nicht.
     
    Während des Essens unterhielten wir uns über die üblichen Themen – wir kommentierten das, was wir aßen (ohne mit Superlativen zu sparen), lobten den Wirt, der immer wieder an unseren Tisch kam, um nachzufragen, ob auch alles recht war, verloren ein paar Worte über alte Bekannte, machten ein paar Scherze über die Vergangenheit und schwelgten in unseren Erinnerungen. Besser gesagt: in Geschichten, die zu gleichen Teilen aus tatsächlich Erinnertem und aus Fantasie bestanden, die wir aber für objektive Erinnerungen hielten.
    Es folgten ein paar Hinweise auf berufliche und familiäre Umstände: Paolo unterrichtete internationales Recht und hielt insbesondere Vorlesungen über internationale Gerichte und Kriegsverbrechen, zu denen Zuhörer aus aller Welt kamen. Er hatte gleich nach dem Examen ein Stipendium bekommen und war, wie wir wussten, nicht mehr zurückgekehrt. Er hatte eine Studienkollegin geheiratet und hatte zwei Kinder, Sarah und Peter. Er war amerikanischer Staatsbürger geworden.
    Auch Giampiero hatte geheiratet (was ich natürlich wusste, auch wenn wir uns aus den Augen verloren hatten – so groß war Bari dann doch nicht). Seine Frau war berufstätig. Die beiden hatten zwei Töchter. Ich wunderte
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