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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari
Autoren: Gianrico Carofiglio
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mich, dass er die Namen der Töchter nicht nannte und nach den wesentlichen Informationen schnell das Thema wechselte.

    Nach dem Essen, nach dem Weißwein, dem Rotwein und dem Muskateller aus Trani, kam der Wirt mit einer kleinen Flasche an, auf deren weißem Etikett ungelenke Buchstaben standen. Es sei ein Grappa aus Verdeca di Gravina, erzählte er, den einer seiner Weinlieferanten selbst brannte und den man nicht im Handel bekam. Er sei ausschließlich für Freunde reserviert. Er füllte unsere Gläser und wartete, bis wir gekostet und unser Lob ausgesprochen hatten; dann holte er drei weitere versiegelte Flaschen und schenkte jedem von uns eine davon, wobei er uns prüfend ansah, ob wir die Geste auch zu schätzen wussten.
    »Na, wie fandest du das Essen?«, fragte Giampiero Paolo.
    Paolo lächelte. Der Alkohol hatte ihn offensichtlich besänftigt.
    »Ganz hervorragend, wirklich. Wie lange gibt es dieses Lokal schon?«
    »Etwa zehn Jahre. Der Wirt ist ein Freund von mir, aber er behandelt jeden Gast so.«
    Das sagte er herablassend und mit künstlicher Bescheidenheit; der Satz bedeutete in Wirklichkeit: Hier isst man zwar immer gut, aber natürlich gab es dieses fantastische Essen nur, weil ihr mit dem Richtigen gekommen seid.
    Dann wandte er sich an mich. »Warst du schon einmal hier?«
    Ich nickte. Ich war bereits mehrmals da gewesen. Und ich fügte hinzu, dass ich immer gut gegessen hätte, aber nie so gut wie heute. Zum Teil, weil es stimmte, zum Teil, weil ich wusste, dass Giampiero genau das hören
wollte. Er versuchte ein Lächeln zu unterdrücken, sah aber sehr erfreut aus. Dann schob er seinen Stuhl zurück und nickte kaum merklich, während er uns ansah. Er war zufrieden; der Abend verlief so, wie er es sich vorgestellt hatte. Genau so hatte in seiner Vorstellung wohl ein Wiedersehen alter Freunde abzulaufen, die auf halber Strecke Bilanz ziehen über Arbeit, Familie und Erfolg und gemeinsam alten Erinnerungen nachhängen. Es sollte sich als gemütliches Ritual gestalten, wie Männer unseres Alters und unseres Standes es regelmäßig absolvieren, um sich zu bestätigen, dass die Fäden nicht abgerissen sind, dass die Dinge ihre gute Ordnung haben und dass das Leben weiterhin einen Sinn hat.
    Mir ging durch den Kopf, dass Giampiero den Abend wahrscheinlich am liebsten mit einem Soundtrack unterlegt hätte. Mit einem weichen Jazzklavier etwa, wie in einem Woody-Allen-Film.
    »Na, Paolo«, sagte Giampiero, »habt ihr denn ein apulisches Restaurant in Chicago?«
    Paolo antwortete lächelnd, aber mit einem winzigen Hauch von Herablassung, einer kaum merklichen Spur von Ungeduld.
    »Keine Ahnung. Es gibt eine Unmenge italienischer Restaurants, aber ob ein apulisches darunter ist, weiß ich wirklich nicht. Ich gehe abends nicht viel aus, ich bin kein Fachmann für das Nachtleben von Chicago. Ich wohne ja nicht einmal in Chicago!«
    »Ja, wo wohnst du denn dann?«, fragte ich.
    »In Evanston, in der Nähe von Chicago. Evanston ist der Sitz der Northwestern University; die Law School, an
der ich unterrichte, ist allerdings in Chicago. Da fahre ich morgens hin und abends wieder zurück.«
    »Ist Evanston eine Stadt oder ein Stadtteil?«
    »Evanston ist eine Stadt am Ufer des Lake Michigan. Man erreicht sie über die Seepromenade. Wir sind circa 70 000 Einwohner. Es ist in erster Linie eine Universitätsstadt, eben wegen der Northwestern.«
    Er zögerte einen Moment lang, als fragte er sich, ob es sich lohnte, uns diese Informationen zu geben. Dann fügte er hinzu: »Es lässt sich gut aushalten dort, bis auf die Kälte im Winter. Der See ist wunderschön, man hat direkt das Gefühl, am Meer zu sein.«
    Er ließ wieder ein paar Sekunden verstreichen, in denen seine Augen umherschweiften, als suchten sie etwas.
    »Was fehlt, ist der Geruch.«
    »Der Geruch?«
    »Der Meeresgeruch, die salzige Luft.«
    Vor ein paar Jahren war ich in Chicago gewesen, als ich mit dem Auto quer durch die USA gefahren war. Damals wusste ich nicht einmal, dass Paolo dort wohnte, so wenig Kontakt hatten wir zueinander. Die Stadt hatte mir gut gefallen, aber am besten gefiel mir die Uferpromenade – die »Gold Coast« voller Wind und Sonne. Und jetzt stellte sich heraus, dass Paolo diese Straße jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit entlangfuhr! Und dann die Wolkenkratzer, die die New Yorker noch übertrafen, und die Magnificent Mile und die Museen! Mir hatte die klare, großzügige und schlichte Opulenz gefallen, die man in dieser Stadt
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