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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich
Autoren: Julian Fellowes
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meiner Vergangenheit sprach, von der sie naturgemäß wenig bis gar nichts wissen konnte. Der Satz »Du hast ihn noch nie erwähnt« konnte nur heißen: »Wäre dieser Typ von Bedeutung, hättest du doch von ihm erzählt.« Oder schlimmer noch: »Dann hättest du von ihm erzählen sollen .« Es ist ja ein weit verbreiteter Irrglaube, jeder habe das Recht, über seinen Partner alles bis ins kleinste Detail zu erfahren. »Wir haben keine Geheimnisse voreinander«, behaupten strahlende junge Gesichter von der Kinoleinwand herab. Blanker Unsinn. Wir wissen alle sehr wohl, dass unser Leben voller Geheimnisse ist, die wir oft sogar vor uns selbst verbergen. Bridget wurde offensichtlich von der Sorge umgetrieben, wie viel Wichtiges ich ihr neben Damian sonst noch vorenthielt. Dazu kann ich nur sagen, dass auch für mich ihre Vergangenheit, wie im Grunde die eines jeden Menschen, ein Buch mit sieben Siegeln war. Gelegentlich gestatten wir anderen einen kleinen Einblick, aber meist nur oberflächlich. Was sich in den dunklen Tiefen abspielt, machen wir lieber mit uns alleine ab.
    »Ein Freund aus Cambridge-Zeiten«, sagte ich. »Wir haben uns im zweiten Studienjahr kennengelernt, Ende der Sechzigerjahre. Ich habe damals die Saison mitgemacht, viele Gesellschaften besucht und Damian einigen Mädchen vorgestellt. Sie nahmen ihn in ihre Kreise auf, und wir sind eine Weile zusammen durch London gezogen.«
    »Zum Entzücken der Debütantinnen«, kommentierte Bridget halb spöttisch, halb amüsiert.
    »Schön, dass dir meine Vergangenheit stets ein Lächeln auf die Lippen zaubert.«
    »Und danach?«
    »Wir haben uns nach dem Studium aus den Augen verloren, da
gibt es nichts weiter zu berichten. Wir haben einfach verschiedene Richtungen eingeschlagen.« Das war natürlich eine glatte Lüge.
    Bridget sah mich an; sie hatte mehr herausgehört, als mir lieb war. »Du willst vermutlich allein hinfahren.«
    »Ja. Ich werde allein hinfahren.« Ich lieferte keine weiteren Erklärungen, muss aber fairerweise einräumen, dass sie auch keine verlangte.
    Früher hatte ich Damian Baxter für mein Geschöpf gehalten, was nur zeigt, wie naiv ich war. Wie jeder weiß, kann der beste Zauberer der Welt kein Kaninchen aus dem Hut zaubern, wenn es nicht schon vorher drinsteckt. Damians Erfolg, den ich mir als Verdienst anrechnete, wäre nie eingetreten, hätte Damian nicht jenes außerordentliche Format besessen, dank dessen er triumphierte, ja triumphieren musste . Dennoch glaube ich nicht, dass er als junger Mann ganz ohne Hilfe in der besseren Gesellschaft Furore gemacht hätte, schon gar nicht zur damaligen Zeit. Und diese Hilfe bekam er von mir. Vielleicht der Grund, warum mir sein Verrat so bitter aufstieß. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel oder versuchte es zumindest, war aber doch verletzt. In meinen Augen hatte sich das Geschöpf gegen seinen Schöpfer gewandt.
    »Dein Besuch wäre mir zu jeder Tageszeit recht«, hieß es weiter im Brief. »Ich gehe nicht mehr aus, noch empfange ich Gäste, stehe Dir also voll und ganz zur Verfügung. Ich wohne in der Nähe von Guildford. Die Fahrt von London dauert mit dem Auto bis zu eineinhalb Stunden, mit dem Zug bist Du schneller. Gib mir einfach Bescheid, dann schicke ich Dir entweder eine Anfahrtskizze oder lass Dich vom Bahnhof abholen – was Dir lieber ist.« Ich zögerte eine Weile, doch dann antwortete ich, schlug Damian vor, am Soundsovielten zum Dinner zu kommen, und nannte ihm meinen Zug. Er bestätigte den Termin mit einer Einladung, über Nacht zu bleiben. Ich nahm gern an, weil ich nach einem Abendessen auf dem Lande nicht mehr den Weg nach Hause antreten möchte, und so traf ich an einem milden Sommerabend im Juni am Bahnhof von Guildford ein und passierte die Sperre.
    Ich ließ den Blick schweifen und suchte nach irgendeinem Osteuropäer
mit einem Schild, auf dem mit Filzstift geschrieben mein falsch buchstabierter Name stünde. Stattdessen trat ein Chauffeur in Livree auf mich zu – jemand, der aussah, als spielte er in einem Agatha-Christie-Film den Chauffeur. Er stellte sich leise und zurückhaltend vor, setzte seine Schirmmütze wieder auf und führte mich hinaus zu einem neuen Bentley, der vorschriftswidrig auf dem Behindertenparkplatz stand. Ich sage »vorschriftswidrig«, obwohl in der Windschutzscheibe gut sichtbar ein Behindertenausweis lag, denn diese Ausweise werden vermutlich nicht ausgestellt, um Gäste vom Zug abholen zu können, damit sie nicht nass werden oder mit
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