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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich
Autoren: Julian Fellowes
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erschien und bei Feier und Empfang eine Miene hochtrabenden, würdevollen Ernstes zur Schau trug – näher konnte er einem Ausdruck persönlicher Betroffenheit wohl nicht kommen. Unter Berücksichtigung der Umstände konnte man kaum echte Trauer von ihm erwarten. Immerhin hatte das gewaltige Erbe seine Dynastie über Nacht unter die zwanzig reichsten Familien Englands katapultiert, und so stand es ihm wohl an, nicht allzu undankbar zu erscheinen. Aber man kann sich auf gute Manieren nie ganz verlassen, und ich war froh, dass er sie dennoch bewies.
    Lucy war da, in einer seltsamen, trauergewandähnlichen Kreation, über der sie einen schwarzseidenen Abendmantel trug, mit einer riesigen lila Plastikrose am Revers. Candida kam zusammen mit Dagmar, beide elegant gekleidet und aufrichtig trauernd, was mich sehr für sie einnahm, so sehr schätzte ich inzwischen den Verstorbenen. Sogar Kieran tauchte auf, vielleicht auch nur, um sich zu vergewissern, dass Damian wirklich tot war. Terry war nicht aus Kalifornien angereist. Das wäre auch viel verlangt gewesen, aber sie schickte einen Strauß jener ultramodischen hässlichen Blumen, die von den Großstadtfloristen so geliebt werden und aussehen, als ernährten sie sich von Fliegen. Eine Dame erregte mein Interesse. Sie war groß und eher üppig, aber auf ihre Art sehr chic mit ihrem raffiniert geschnittenen Kostüm und einer überaus prachtvollen Diamantbrosche. Sie nickte mir lächelnd zu, also musste ich sie kennen. Ich bat Serena um Aufklärung, falls die Dame herüberkäme, um mich zu begrüßen. Serena war höchst überrascht: »Du erinnerst dich doch sicher an Georgina Waddilove.«
    »Die dicke Georgina?« Es gelang mir nicht, mein Staunen zu verbergen. »Was ist denn da passiert?«
    »Du hast dich ja wirklich von der großen Welt entfernt.« Sie lächelte. »Sie hat den Marquis von Coningsby geheiratet.«
    Ich hatte tatsächlich keine Ahnung. »Wann denn?«
    »Vor etwa fünfzehn Jahren. Unglaublich, dass du nie davon gehört hast; allerdings sind sie viel in Irland. Er ist ihr erster Mann, sie seine zweite Frau. Wunder über Wunder: Er hatte vorher nur Töchter, und Georgina hat umgehend zwei Jungs produziert, den ersten mit dreiundvierzig, den zweiten ein Jahr später. Damit ist sie die Mutter des Erben und des Ersatzerben.«
    »Ist er nett, der Marquis?«
    »Ungemein liebenswürdig. Er sieht gut aus und ist Georgina ja so dankbar, dass sie ihn gerettet hat. Nummer eins hat sich mit einem seiner Freunde davongemacht, und er war sehr niedergeschlagen, aber jetzt schwimmt er im Glück.«
    Das hörte ich mit großer Freude. Ich sah zu der lächelnden und nahezu attraktiven Marchioness von Coningsby hinüber und dachte, dass das Leben nicht nur Trübsal bereithält, nicht einmal in unseren finsteren Zeiten. Für manche wendet sich das Schicksal durchaus zum Guten. »Wie wunderbar«, sagte ich. »Ich hoffe, ihre Mutter hat die Hochzeit noch erlebt.«
    »Hat sie. Aber sonst wäre sie wohl aus dem Grab gesprungen, um dabei zu sein.« Ich stimmte in Serenas Lachen ein, dann wandte sie sich wieder den anderen Gästen zu.
    So war Damians Suche denn zu Ende und ich nicht unglücklich mit dem Ergebnis und allem, was ich auf der Suche nach der verlorenen Zeit erfahren hatte. Ich hatte immer gedacht, die heimliche Lovestory des Jahres 1968 wäre meine eigene verborgene, einseitige Liebe gewesen, die mich schließlich ins Exil getrieben hatte; stattdessen musste ich entdecken, dass für jeden echten Romantiker Serena Gresham und mein Verräter das wahre Liebespaar verkörperten. Dennoch bin ich überzeugt, dass ich rückblickend und für die Zukunft den Wechsel auf mein Leben endlich eingelöst habe – habe ich doch die innersten Triebfedern meines Herzens wiederentdeckt und durfte zu guter Letzt, wenn auch nur ein einziges Mal, den Gegenstand meiner Leidenschaft lieben. Was immer noch auf mich zukommt
— wenn überhaupt etwas kommt –, ich habe erlebt, worüber Dichter schreiben, und dafür bin ich wahrhaft dankbar.
    Ich stand in der Hotellobby mit dem wunderbar eindrucksvollen schwarz-weißen Marmorboden, da fasste mich Peniston Summersby am Arm. Gemeinsam gingen wir in den immer noch hellen Herbsttag hinaus und besprachen, was als Nächstes zu erledigen sei; einen derart umfangreichen Nachlass abzuwickeln, nimmt zwangsläufig viele Jahre in Anspruch. Dann zögerte er. Ich merkte ihm an, er wollte noch etwas sagen, mir deutlich machen, dass er sich seines unglaublichen
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