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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich
Autoren: Julian Fellowes
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wollte nicht zur mésalliance der Familie werden. Das war purer Stolz. Ich habe unser Leben mit meinem Stolz ruiniert.«
    »Sie glaubt, dass sie euer Leben durch ihre ängstliche Schwäche ruiniert hat. Am Strand von Estoril.«
    Das erheiterte ihn beinahe. »Da täuscht sie sich. Aber trotzdem bin ich froh, dass sie genauso empfindet wie ich. Das ist natürlich selbstsüchtig. Wenn ich sie weniger selbstsüchtig liebte, würde ich ihr wünschen, dass sie mich vergisst, aber das kann ich nicht.«
    »Sie möchte nicht, dass ihr Sohn es erfährt. Das heißt, sie will ihm von dir erzählen, aber nicht, dass du sein Vater bist.« Er nickte klaglos, bereit, ihren Wunsch zu akzeptieren. »Sie hat gefragt, ob sie dich besuchen darf, um dir alles selbst zu erklären.« Die wässrigen Augen auf dem Kissen blickten fast erschrocken, aber ich schüttelte gleich den Kopf, um ihn zu beruhigen. »Ich habe das abgebogen, aber sie hat dir eine Nachricht geschickt.« Ich setzte mich auf den Stuhl am Kopfende des Betts und nahm den dicken, cremefarbenen Umschlag aus meiner Innentasche. Mit einem Nicken forderte er mich auf, ihn zu öffnen. Unter dem dunkelblauen Prägedruck der Adresse, Waverly Park, stand in der breiten, schrägen Handschrift, an die ich mich so gut erinnere: »Seit ich Dich zum letzten Mal gesehen habe, habe ich nicht aufgehört, Dich zu lieben. Und ich werde Dich weiter lieben bis an mein Lebensende. Serena.« Ich hielt das Blatt vor ihn, und er las es immer wieder, seine Augen wanderten übers Papier hin und her.
    »Du musst ihr sagen, dass du rechtzeitig gekommen bist und ich ihren Brief noch sehen konnte. Und dass ich genauso empfinde wie sie«, murmelte er. »Ganz genauso.« Und dann: »Bleibst du? Das Personal kann dich mit allem versorgen, was du brauchst.« Kaum
zu glauben, dass ich zögerte, mir fielen lauter lächerliche, unbedeutende Dinge ein, wie sie im ungeeignetsten Moment ins Gehirn purzeln, eine Dinnerparty, bei der ich zugesagt hatte, am nächsten Tag ein Mittagessen mit Freunden aus München. Was überkommt einen nur in solchen Augenblicken? Bevor ich antworten konnte, fasste er nach meiner Hand. »Bitte. Ich verspreche dir, dass ich dich nur noch dieses eine Mal aufhalte.«
    Ich nickte sofort und schämte mich, dass ich für meine Antwort so lange gebraucht hatte. »Natürlich bleibe ich.«
    Und ich blieb. Mir und dem Anwalt, einem Mr. Slade, der mir anbot, ihn Alastair zu nennen, wurde ein Abendessen serviert, und wir machten steife Konversation über die Erderwärmung im vierzehnten Jahrhundert und die Merkwürdigkeiten des Gordon Brown, während wir in der ungemütlichen Pracht des Esszimmers lustlos auf unseren Tellern herumstocherten. Dann wurde ich wieder in das Zimmer geführt, in dem ich bereits bei meinem ersten Besuch genächtigt hatte, in einer anderen Ära, wie mir schien, dabei war es erst zwei Monate her. Bassett hatte mir Rasierzeug, Toilettenartikel und einen Schlafanzug bereitgelegt. »Ich nehme Ihr Hemd und Ihre Wäsche mit; Sie bekommen die Sachen morgen früh wieder, Sir«, sagte er. Damian hatte seine letzten Jahre wirklich in einem Märchenland verbracht, aber einem einsamen Märchenland. So viel wusste ich jetzt.
    Bassett war es auch, der mich in den frühen Morgenstunden wachrüttelte. »Könnten Sie kommen, Sir? Er verlässt uns.« Ich blickte ihm ins Gesicht; Tränen standen ihm in den Augen. Ein Mann, dessen Butler bei seinem Tod weint, musste in seinem Leben doch einiges richtig gemacht haben. Ich warf hastig den nagelneuen Morgenmantel über und eilte durch die Gänge zum Sterbezimmer. Beide Schwestern und ein Arzt standen bereit, auch der Anwalt war herbestellt worden, falls es in letzter Minute noch Änderungen geben sollte, doch er wurde nicht benötigt. Die Atmosphäre war stickig und beklemmend, und ich dachte an Ludwig XVI., der mit der Faust ein Fenster einschlug, um seiner Gemahlin bei ihrer Niederkunft frische Luft zu verschaffen. Als ich eintrat, drehten sich alle nach mir um und wichen so selbstverständlich zurück, um mir den Weg zum Bett
frei zu machen, dass ich den Eindruck hatte, auch das gehöre zum ausgefeilten Plan für diesen höchst geordneten Rückzug.
    Damian lebte kaum noch, aber als er mich sah, begannen sich seine Lippen zu bewegen, deshalb kniete ich nieder, beugte mich über ihn und hielt mein Ohr dicht an seinen Mund. Und ich hörte ihn ganz klar. »Bitte sag ihr, dass ich genauso empfinde«, sagte er. Dann war es vorüber.

    Der Test fiel
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