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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich
Autoren: Julian Fellowes
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berichtet.« Sie wirkte ungewöhnlich verlegen, ein Gefühl, das ich sonst nicht mit ihr verbinde. »Ich möchte nicht, dass du glaubst, ich schlüpfe immer zu schlafenden Männern ins Bett.«
    »Du hast mir selbst gesagt, dass du das nur bei Männern tust, die dich lieben.«
    Sie nickte. »Danke, dass du dich daran erinnerst.«
    »Ich erinnere mich an alles«, erwiderte ich.
    Da fing sie an zu reden, offensichtlich erleichtert, dass sie endlich einmal alles aussprechen konnte. »Erst wusste ich nicht so recht. Ich dachte, wenn er Interesse hätte, dann hätte er nach meinem idiotischen Brief etwas unternommen. Aber da kam nichts, keine Reaktion. Das weiß ich auch deshalb so genau, weil ich vor zwanzig Jahren noch mit etlichen der Frauen Kontakt hatte, die diesen Brief ebenfalls hätten schreiben können. Warum dieser Umschwung?«
    »Er liegt im Sterben.«
    Was sie rasch ernüchterte. »Ja. Natürlich.« Sie sah einen Moment zur Decke. »Ich möchte dir erklären, was in dieser Nacht in Estoril
passiert ist. Ich hatte so viele Jahre Schuldgefühle, vor allem deinetwegen. «
    »Warum meinetwegen?«
    »Weil du alles ausbaden musstest. Du hattest ihn doch nur zu ein paar Gesellschaften mitgenommen, und plötzlich wurdest du als Kriecher, Ehrgeizling und was weiß ich noch alles beschimpft. Es muss furchtbar gewesen sein.«
    »Toll war es nicht.«
    »Wichtiger noch, es war nicht wahr. Vor allem, was er von deinen Gefühlen für mich behauptet hat. Das weiß ich. Das wusste ich auch damals schon.« Serena lächelte mich verstohlen an, die einzige offene Anspielung auf unsere gemeinsame Nacht. Das machte mich froh – auch wenn es nicht viel war, so war es doch besser als nichts. »Was hast du von den Ereignissen bei meinem Ball erfahren?«
    »Ich glaube, das meiste. Aber erst vor Kurzem.«
    »Damian behauptete, er habe mich benutzt, er würde mich nicht lieben, ohne ihn sei ich besser dran, lauter solches Zeug. Und ich stand einfach da, weil ich nicht glauben konnte, was er sagte. Die Musik spielte noch, ein Mädchen lachte hinter der Tür zum Vorzimmer, und ich erinnere mich noch, dass ich dachte, wie kannst du lachen, während hier mein Leben in Scherben geht? Ich liebte Damian mit jeder Faser meines Körpers. Ich wollte mit ihm durchbrennen, mit ihm zusammen sein, ihn lieben bis ans Ende meiner Tage, und wenn ich dafür mit allen brechen müsste, dann hätte ich es getan. Als er mit diesem Gerede anfing, erstarrte ich wie zu Stein. Ich stand wohl unter Schock, wie man es heute nennt, aber damals wurden uns solche Schocks nicht zugebilligt. Es hieß einfach, mach einen Spaziergang an der frischen Luft und schau, dass du drüber wegkommst. Irgendwann hörte Damian auf zu reden und wartete, dass ich mich dazu äußerte. Und nach einer Weile sah ich ihn an und sagte: ›Also, wenn du wirklich glaubst, dass es das Beste ist.‹ Und als ich dann verstummte, nickte er und machte eine komische kleine Verbeugung. Ich habe so oft daran gedacht. Ich sehe das Bild noch vor mir. Eine knappe Verbeugung, wie ein Kellner oder ein Botschaftsangestellter, der sich vergewissern soll, dass man in den richtigen Zug umsteigt,
der einen vom Gare du Nord zum Gare d’Austerlitz begleitet oder so. Und dann ist er gegangen. Ich lief auf die Terrasse hinaus, und nach einer Weile kam ich wieder herein und habe mit dir getanzt.«
    »Und ich habe mich so darüber gefreut.«
    Aber diesmal wollte sie mir die ganze Geschichte erzählen. »Danach war mir im Grunde egal, was mit mir passierte. Ich hatte wohl eine Art Nervenzusammenbruch, aber auch das kam damals in unseren Kreisen nicht vor. So etwas hatten Schauspielerinnen oder Leute, die das Geld ihrer Kunden verspekuliert hatten. Bei unsereinem hieß es, man sei nicht ganz auf dem Damm oder müsse sich von der Hetze erholen oder brauche mal eine kleine Pause. Mummy und Daddy schubsten mich ständig in Richtung Andrew, und er war ja so bemüht. « Sie unterbrach sich, als sie mein Gesicht sah. »Nein, er war wirklich bemüht. Ich weiß, dass du ihn nicht magst, aber er ist nicht so schlimm, wie du glaubst.« Ich ging hinter einer Miene der Ergebenheit in Deckung. »Und ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Wir waren ja zu nichts anderem erzogen worden.«
    »Ich weiß.«
    »Es schien ein Ausweg. Damian wollte mich nicht haben, ich aber dachte morgens, mittags und abends an ihn. Was hätte ich sonst tun können? Wie auch immer …« Sie zuckte hilflos mit den Achseln. »Es ist eben passiert. Mir
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