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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich
Autoren: Julian Fellowes
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Herumdrucksen konnte man ihm jedenfalls nicht vorwerfen. Eine Weile machte ich mir vor, ich müsse es mir überlegen, aber insgeheim war ich sofort entschlossen zu fahren, schon um meine Neugier zu stillen und das versunkene Atlantis meiner Jugend noch einmal aufzusuchen.
    Auch wenn es gewisse Gefahren birgt, stemme ich mich nicht länger gegen die traurige Erkenntnis, dass das Leben in meinen jungen Jahren generell erfreulicher war als jetzt. Die heutige Jugend verteidigt verständlicherweise ihre eigene Zeit, was ihr auch zusteht, und wehrt sich gegen unseren nostalgischen Rückblick auf ein goldenes Zeitalter, als der Kunde noch König war, Pannenhelfer vor den Plaketten der Automobilclubs salutierten und Polizisten grüßend an den Helm tippten. Gott sei Dank ist Schluss mit diesen unterwürfigen Respektbezeugungen, heißt es jetzt. Aber solche Respektbezeugungen gehörten zu jener geordneten, sicheren Welt, die im Nachhinein Geborgenheit und sogar Freundlichkeit ausstrahlt. Diese Freundlichkeit, die England vor einem halben Jahrhundert zu eigen war, vermisse ich am meisten. Oder vermisse ich doch eher meine Jugend?
    »Wer ist dieser Damian Baxter eigentlich? Warum ist er so wichtig ?«, fragte Bridget, als wir später am Abend zu Hause saßen und den überteuerten und zu knapp gegarten Fisch aßen, den wir von unserem italienischen Stammlokal um die Ecke geholt hatten. »Du hast ihn noch nie erwähnt.« Als Damians Brief eintraf, wohnte ich noch in einer geräumigen Erdgeschosswohnung in Wetherby Gardens, die neben Behaglichkeit alle möglichen weiteren Vorzüge bot, nicht zuletzt eine günstige Lage für die Take-away-Kultur, die uns in den letzten Jahren überrollt hat. Eine einigermaßen vornehme Adresse; ich
hätte mir die Wohnung nie selbst kaufen können, sie wurde mir von meinen Eltern überlassen, als sie vor Jahren aus London wegzogen. Die Einwände meines Vaters wischte meine Mutter kühn mit dem Argument beiseite, ich bräuchte schließlich eine Starthilfe; dem hatte er sich dann gefügt. So profitierte ich von der Großzügigkeit meiner Eltern und betrachtete die Starthilfe bald als endgültige Bleibe. Die Einrichtung, an der ich nicht viel verändert hatte, stammte noch von meiner Mutter, an ihrem kleinen, runden Frühstückstisch im Erker fand meine Unterhaltung mit Bridget statt. Die bezaubernden Regency-Möbel und der als lockiger Knabe porträtierte Ahne über dem Kamin hätten wohl ein dezidiert weibliches Flair verbreitet, hätte sich meine Männlichkeit nicht in Form eines eklatanten Desinteresses behauptet, das Mobiliar gefällig zu arrangieren.
    Bridget FitzGerald war meine momentane – beinahe hätte ich gesagt »feste Freundin«, aber ich bin nicht sicher, ob über Fünfzigjährige so etwas noch für sich reklamieren können. Der Begriff »Partnerschaft« ist nicht nur abgenutzt, sondern auch mit Gefahren behaftet. Kürzlich habe ich den Leiter einer mir gehörenden kleinen Firma als meinen »Partner« vorgestellt, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich die Blicke etlicher Leute, die mich zu kennen glaubten, richtig einordnen konnte. »Bessere Hälfte« wiederum klingt nach Seifenoper mit einer Golfklubsekretärin in der Hauptrolle, und die Stufe, bei der ich von »meiner Lebensgefährtin« sprechen würde, hatten wir noch nicht erreicht, obwohl wir nicht mehr weit davon entfernt waren. Jedenfalls waren Bridget und ich »zusammen«, ein etwas ungleiches Paar, ich ein mäßig berühmter Romanschriftsteller und sie eine geschäftstüchtige Immobilienmaklerin, eine gewitzte Irin, die den Zug der romantischen Liebe verpasst hatte und bei mir gelandet war.
    Meine Mutter hätte die Beziehung nicht gutgeheißen, aber meine Mutter war tot und zählte daher nicht. Theoretisch. Ich glaube nicht, dass wir uns der Missbilligung unserer Eltern, tot oder lebendig, je entziehen können. Vielleicht hätte ich auf ihr posthumes Geflüster hören sollen, da ich nicht behaupten kann, Bridget und ich hätten viel gemeinsam. Doch war sie intelligent und sah gut aus, was mehr
war, als mir zustand, und ich war wohl einsam und hatte die Anrufer satt, die mich am Sonntag zum Lunch einladen wollten. Wie auch immer, wir hatten uns gefunden, und obwohl wir nicht zusammenlebten, da Bridget ihre Wohnung behalten hatte, gingen wir seit ein paar Jahren friedlich gemeinsamer Wege. Von Liebe würde ich nicht direkt sprechen, aber uns verband doch etwas.
    An Bridgets Frage amüsierte mich, wie besitzergreifend sie von
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