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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich
Autoren: Julian Fellowes
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gleichen blassblauen Damast, mit dem auch das hohe Himmelbett bespannt war. Das Mobiliar war solide englische Handwerksarbeit und die Chinoiserie-Bilder zwischen den Fenstern wirklich bezaubernd, auch wenn das Ganze einen Beigeschmack von Landhaus hotel hatte. Ein Eindruck, den das spektakuläre Bad unterstrich, die ausladende Wanne, die begehbare Dusche, die glänzenden Armaturen auf hohen, direkt aus dem Fußboden aufsteigenden Rohren, die riesigen, flauschigen, brandneuen Handtücher. So etwas findet sich, wie wir wissen, in ländlichen Privathäusern selten. Ich machte mich frisch und ging nach unten.
    Der Salon erweckte mit seiner gewölbten Decke den Eindruck einer geräumigen Höhle, einer Höhle voller übertrieben weicher, viel zu neuer Teppiche, die sich auffallend von den abgetretenen alten Persern in traditionsreichen Häusern unterschieden. Alles in diesem Raum war innerhalb eines Menschenlebens zusammengekauft, wahrscheinlich von einer einzigen Person. Das hatte nichts vom bunten Sammelsurium ländlicher Adelssitze, wo die Ausbeute aus einem Dutzend Häusern, über zwei, drei Jahrhunderte hinweg von vierzig Amateursammlern zusammengetragen, in einem einzigen Raum abgeladen wird. Aber das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Es war sogar ausgezeichnet; das Mobiliar stammte größtenteils aus den Anfangsjahren des achtzehnten Jahrhunderts, die Bilder eher aus späteren Epochen, alles von hervorragender Qualität, blitzblank und tipptopp. Wie mein Zimmer oben. Ob Damian wohl einen Innendekorateur beauftragt hatte, seinem Leben einen stilvollen Rahmen zu geben? Von Damians Persönlichkeit allerdings – überhaupt
von Persönlichkeit – war nichts zu spüren. Ich schlenderte herum, sah mir die Bilder an, wusste nicht recht, ob ich stehen bleiben oder mich setzen sollte. Bei allem Glanz herrschte eine gewisse Tristesse; die glühenden Kohlen auf dem Kaminrost konnten die klamme Luft nicht vertreiben, als wäre der Raum sauber gehalten, aber längere Zeit nicht benutzt worden. Und es gab keine Blumen, nichts Lebendiges, für mich immer ein vielsagendes Indiz; die ganze Perfektion hatte etwas Schales, leblos Steriles. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass bei der Gestaltung der Räumlichkeiten eine Frau eine große Rolle gespielt hatte, geschweige denn ein Kind.
    Ein Geräusch an der Tür. »Mein lieber Freund«, sagte eine Stimme. Dieses leichte Zögern, dieser Anflug eines Stotterns – wie gut ich mich daran erinnerte. »Ich hoffe, ich habe dich nicht warten lassen. «
    Damian Baxter war immer noch der Alte. Anstelle des breitschultrigen, gut aussehenden jungen Mannes mit den üppigen Locken und dem ungezwungenen Lächeln stand da zwar eine gebeugte Gestalt, die unwillkürlich an entlassene Kriegsgefangene denken ließ, aber er hatte immer noch dieses unverwechselbare, unsichere Stottern, mit dem er sein tief wurzelndes, sorgsam kultiviertes Überlegenheitsgefühl kaschierte. Und in der überschwänglichen Geste, mit der er mir seine knochige Hand entgegenstreckte, spürte ich sofort seine alte herablassende Arroganz. Ich lächelte. »Was für ein Vergnügen, dich zu sehen«, sagte ich.
    »Tatsächlich?« Wir starrten einander ins Gesicht und staunten, wie vieles darin verändert, wie vieles aber auch gleich geblieben war.
    Und als ich ihn so scharf unter die Lupe nahm, erkannte ich, dass er die Wahrheit gesagt hatte, als er sich in seinem Brief als Sterbenden bezeichnete. Er war nicht nur vorzeitig gealtert, sondern sehr krank. Allem Anschein nach unheilbar krank. »Na, zumindest interessant. Das kann man doch wohl sagen, oder?«
    »Ja, das kann man sagen.« Er nickte dem Butler zu, der in Türnähe bereitstand. »Ob wir wohl etwas Champagner bekommen könnten? « Es überraschte mich nicht, dass Damian auch noch nach vierzig Jahren seine Befehle gern als schüchterne Frage ausgab. Das hatte
ich oft genug miterlebt. Wie viele, die sich dieses Tricks bedienen, glaubte Damian wohl, damit einen charmanten Mangel an Selbstsicherheit zu suggerieren, ein ungeschicktes, aber ehrenwertes Bestreben, alles richtig zu machen. Dabei wusste ich genau, dass er nicht einmal 1967 so empfunden hatte. Der Angesprochene fühlte sich auch nicht zu einer Antwort bemüßigt, sicher zu Recht. Er ging einfach den Schampus holen.
    Das Dinner, eine gedämpfte, förmliche Angelegenheit, fand in einem Esszimmer statt, in dem sich ein etwas unglücklicher Stilmix breitgemacht hatte. Hohe Sprossenfenster, ein wuchtiger Kamin aus
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