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Die Braut sagt leider nein

Titel: Die Braut sagt leider nein
Autoren: Kerstin Gier
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DIE MEISTEN HOCHZEITEN regen nicht zur Nachahmung an, sagt meine Freundin Hanna, und die meisten Ehen auch nicht.
    Sie hat Recht, finde ich. Trotzdem gibt es auf fast jeder Hochzeit einen magischen Augenblick, in dem ich mir innig wünsche, auch eine Braut zu sein.
    Für die Hochzeit von Julia mit Peter, einem Arbeitskollegen meines Freundes Alex, hatte ich mir einen teuren Hut gekauft. Er war aus cremefarbenem Panamastroh, hatte eine über der Stirn aufgebogene Krempe, und sein dunkelgrün-kariertes Band passte genau zu meinen Augen und dem Leinenkleid, das ich trug. Ich war sehr zufrieden mit meinem Aussehen, bis Julia die Kirche betrat. Ein Raunen ging durch die Gästeschar, als sie langsam zwischen den Bänken den Mittelgang entlangschritt.
    Das Oberteil des schneeweißen Kleides schmiegte sich um ihre schmale Taille und ließ die zart gebräunten Schultern frei. Eine doppelreihige Perlenkette betonte ihren schlanken Hals, und der weite Rock schwang bei jedem Schritt sanft vor und zurück, lautlos wie eine Wolke.
    Fotoapparate klickten, und mindestens zwei Verwandte ließen ihre Videokameras surren. Eigens zu diesem Zweck aufgebaute Leuchten tauchten die Kirche in gleißendes Licht, aber die Braut musste nicht mal blinzeln.
    »Julia sieht so anders aus«, flüsterte Alex neben mir.
    »Neun Wochen Diät, jeden Tag zwei Stunden Fitnessstudio und zweimal die Woche Solarium«, flüsterte ich zurück.
    »Und wo kommen die Locken her?«, wollte Alex wissen. »Ist das eine Perücke?« Im wirklichen Leben hatte Julia nämlich brettglattes Haar, das sich so platt um ihren Kopf legte, dass man ihre Ohren sah. Heute war von den Ohren keine Spur zu sehen. Ein Kranz aus weißen und blauen Blüten schwebte auf wuscheligen, glänzenden Locken, und von Julias Schläfen herab kringelten sich goldene Strähnen wie feine Hobelspäne. Auch ihr Gesicht wirkte anders als sonst. Ihre Augen leuchteten veilchenblau, und der Teint schimmerte matt und rosig.
    Julia blieb vor dem Altar stehen und sah mit einem glücklichen Lächeln zu Peter auf, der hier auf sie gewartet hatte. Ihr Rock schwang noch ein paar Mal sachte hin und her, bevor er zur Ruhe kam. Er bestand aus vierzehn Lagen feinstem Tüll, wie ich aus gut informierten Kreisen erfahren hatte, jede Lage vier Meter weit.
    Ich fragte mich, wie ich wohl in solch einem Kleid aussehen würde. Natürlich nach neun Wochen Hunger-, Fitness- und Sonnenbankfolter. Ganz sicher hätte ich mir andere Farben für den Blütenkranz ausgesucht. Zu Julias blauen Augen und dem blonden Haar passten Weiß und Blau hervorragend, aber meine Haare sind dunkelbraun und glücklicherweise von Natur aus leicht gelockt. Meine Augen sind grün. Bei mir würde ein Kranz aus duftenden Orangenblüten gut aussehen, und dazu ein Kleid aus cremefarbener Wildseide, in dem ich den Gang zwischen den Kirchenbänken zum Altar hinaufschreiten würde.
    Was für eine Vorstellung!
    Aufgeregt griff ich nach Alex' Hand. Er drückte fest zurück. Vielleicht hatte er gerade das Gleiche gedacht wie ich?
    Vorne beim Pastor angekommen, musste das Hochzeitspaar niederknien. Für den Bräutigam, der in seinem schlichten hellgrauen Anzug neben der Braut nicht weiter auffiel, war das kein Akt, aber Julia verhedderte sich hoffnungslos in ihren Tüllröcken. Die Brautmutter und die Trauzeugin mussten herbeispringen, um ihr behilflich zu sein. Trotzdem ging etwas schief, denn als Julia sich endlich auf die Knie niederließ, hörte man jenes stumpfe Geräusch, das Tüll macht, wenn er zerreißt.
    Wieder ging ein Raunen durch die Kirche.
    Alex stieß mich erneut in die Rippen und kicherte.
    Mir tat Julia leid. Ich bin nur froh, dass Wildseide nicht so leicht reißt wie Tüll. Ich würde mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung niederknien, und dabei würde sich mein Kleid wie eine schimmernde Aureole um mich legen. Ich würde aussehen wie eine von Christo verpackte Südseeinsel.
    »Willst du, Julia, den hier anwesenden Peter zum Mann nehmen, ihn lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet, so antworte mit Ja.«
    »Ja, ich will«, sagte Julia leise und ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern. Auch das Blitzlichtgewitter ringsum hatte sie nicht abgelenkt. Ihre Stimme klang zart und melodisch und ganz einfach reizend. Sicher hatte sie das zu Hause hundertmal geübt.
    Dabei wäre diese Rolle durchaus noch ausbaufähig gewesen. Ein winziges Zögern vor dem Ja und ein Lächeln hinauf zum Bräutigam hätten der Sache noch ein
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