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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz
Autoren: Lydia Adamson
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mochte: »Na schön. Aber eines sage ich dir: Niemand wird dich jemals aufnehmen, falls Mrs. Salzman etwas zustoßen sollte. Du bist viel zu stur.«
    Ich stand auf und begann, meine übrigen Aufgaben zu erledigen. Aber meine Bewegungen wurden immer langsamer. Irgend etwas beschäftigte mich - etwas, was ich zu Abaelard gesagt hatte. Ich hatte ihm damit gedroht, daß er verlassen werden würde. Niemand würde ihn aufnehmen, hatte ich gesagt, er würde kein neues Zuhause finden wie all die anderen Katzen. Was für Katzen? Ich dachte an die sechzehn Katzen der siebzehn Opfer, die alle - so hatte es wenigstens in dem blauen Ordner gestanden - schnell und endgültig von Verwandten der Verstorbenen aufgenommen worden waren.
    Warum hatte ich diese »Tatsache« geglaubt?
    Weil der Computer es behauptet hatte.
    Weil ich mich so geschmeichelt gefühlt hatte, von Retro als Beraterin engagiert worden zu sein, daß mir vor lauter Eitelkeit mein gesunder Menschenverstand abhanden gekommen war.
    Aber ...
    Wenn es eine unumstößliche tragische Tatsache in einem Katzenleben gibt, dann ist das doch die, daß es die größte und schwierigste Aufgabe auf der Welt ist, ein neues Zuhause für eine Katze zu finden, die eben kein Kätzchen mehr ist und lange Zeit in einem anderen Haushalt gelebt hat.
    Der Computer hatte gelogen. Der Computer war an der Nase herumgeführt worden. Die Polizei war hinters Licht geführt worden. Die Wahrscheinlichkeit, daß all diese Katzen schnell und problemlos von wohlmeinenden Verwandten aufgenommen worden waren, war ungefähr so groß wie die, daß ich den nächsten New-York-Marathon gewinnen würde.
    Das Ausmaß meiner Leichtgläubigkeit erschütterte mich. Aber dann wurde mir klar, daß ich jetzt wenigstens ein Thema für meinen ersten Vortrag als Beraterin bei Retro hatte. Ich hatte den neuen Aspekt gefunden, nach dem sie so lange vergeblich gesucht hatten.

6
    Ich stand unvermittelt auf. Der Raum war voll. Judy Mizener saß in der ersten Reihe. Bei dem kleinen Fenster saßen Rothwax und Arcenaux. Hinten, neben der Tür, stand der komische kleine Bert Turk. Sie machten alle einen leicht gelangweilten Eindruck, denn sie hatten ja keine Ahnung, daß ihre Katzenlady in den nächsten Minuten ihr selbstgefälliges Vertrauen in die Arbeit der Polizei durch eine beweiskräftige Bombe erschüttern würde.
    Ich hatte vor, meinen Vortrag wie ein Theaterstück zu inszenieren, als eine Eine-Frau-Show.
    Ich begann vorsichtig mit einer Anekdote.
    »Ein sehr bekannter und exzentrischer Schauspiellehrer namens Grablewski hielt seinen Schülern einmal einen Vortrag und erklärte ihnen, daß die wahre Aufgabe eines guten Schauspielers darin besteht, die Bühne von all dem Plunder zu befreien, mit dem das Stück den eigentlichen Kern überfrachtet. ›Das, was in einem Stück fehlt‹, sagte er, ›ist wichtiger als das, was da ist‹.«
    Ich wartete ein paar Sekunden, um meine Worte wirken zu lassen, dann fuhr ich fort.
    »Lassen Sie mich dies auf unsere Situation übertragen. Ich glaube, daß das, was bei diesen Mordfällen fehlt, wichtiger ist als das, was wir herausgefunden haben.«
    Ich betrachtete die Gesichter meines Publikums. Sie schienen jetzt ebenso verwirrt wie gelangweilt.
    »Lassen Sie mich Ihre Erinnerung auffrischen und Ihnen meine Theorie Schritt für Schritt erklären.« Ich spielte jetzt die Rolle einer Lehrerin und genoß meine Vorstellung in vollen Zügen.
    »Jeder der Toten hatte eine Katze. Und nach jedem Mordfall wurde die Katze sofort von einem Verwandten oder einem Freund des Opfers aufgenommen. Das geht jedenfalls aus den Computerausdrucken in dem blauen Aktenordner hervor.
    Offensichtlich hat niemand bei Retro dieser Behauptung genug Bedeutung beigemessen, um sie nochmals zu überprüfen. Ich habe dies getan. Daß die Katzen ein neues Zuhause gefunden haben, ist in allen Fällen lediglich behauptet worden. In keinem der Protokolle findet sich eine Bestätigung dieser Aussage. Niemand hat eine der Katzen bei ihrem vermeintlichen neuen Besitzer gesehen.«
    Ich machte eine Pause, damit die Zuhörer meine Worte verarbeiten konnten. Jetzt konnte ich spüren, daß sie mir folgten. Ich fühlte ihre Vorahnungen.
    »Mit anderen Worten«, sagte ich und senkte meine Stimme, »die einzige wirkliche Gemeinsamkeit der einzelnen Mordfälle - abgesehen von den Spielzeugmäusen - ist die Tatsache, daß sämtliche Katzen aller Opfer spurlos verschwunden sind.«
    Ich lächelte. »Und wenn wir dies konsequent
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