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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz
Autoren: Lydia Adamson
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seinen Vortrag beendet. Er hatte mich zur Zielscheibe des Gespötts gemacht und die Effizienz seiner Dienststelle dokumentiert.
    Er knöpfte sein Jackett zu und verließ das Rednerpult. Sofort wurde er von Bewunderern umringt. Ich blieb sitzen. Langsam leerte sich der Raum. Grannis warf mir einen dümmlichen, fast entschuldigenden Blick zu. Ich erwiderte den Blick. Dieser Affe. Er dachte wohl, er hätte mich ein für allemal unmöglich gemacht. Nun ja, die dämliche Geschichte von Babe Ruth und den Kondomen hatte ihre destruktive Wirkung nicht verfehlt. Aber was er dann gesagt hatte, hatte meine Theorie ja im Grunde bestätigt. Er hatte es nur nicht bemerkt. Niemand außer mir hatte das bemerkt.
    Bald befanden sich nur noch Judy Mizener und ich im Raum. Sie blieb, wo sie war, und ich blieb, wo ich war. Die Distanz zwischen uns blieb unverändert.
    »Wissen Sie«, sagte sie, »das ist mir alles sehr peinlich und tut mir sehr leid. Es war ein Fehler von mir, Sie zu engagieren. Viele von den Retro-Leuten lehnen Sie ab. Sie wissen einfach nicht, wie sie mit Ihnen umgehen sollen. Sie wissen nicht, was Sie von Ihnen halten sollen. Sie halten Sie für psychisch ... nun ja, für nicht ganz richtig im Kopf. Es tut mir leid. Aber es ist nun einmal so.«
    »Ist das ein Rausschmiß?« fragte ich.
    »Ja, das soll es wohl sein. Es wäre dumm, Sie dazubehalten, denn Sie würden von den anderen keinerlei Unterstützung bekommen, und das könnte sehr belastend für Sie werden.«
    »Obwohl Chandler Grannis meine Theorie bestätigt hat?«
    Sie sah mich verwundert an. Dann schrie sie fast:
    »Was heißt hier bestätigt? Ticken Sie noch richtig? Er hat Sie und Ihre Theorie doch total durch den Kakao gezogen!«
    Ich lächelte geheimnisvoll. »Das sehe ich anders. Wissen Sie, die Periode zwischen Dezember und Juni ist nämlich genau die Zeit, in der Katzen auf der nördlichen Halbkugel normalerweise Junge bekommen.«
    Ihr Gesichtsausdruck wurde ungläubig. Dann sah sie mich an und zwinkerte. Ich ließ meine zweite Katze aus dem Sack.
    »Und die gut sechzig-und-nochwas Tage zwischen zwei oder drei Morden entsprechen der normalen Trächtigkeitsdauer einer Katze.«
    Judy Mizener fing an, hin- und herzulaufen. Ich konnte spüren, wie ihr tausend Fragen durch den Kopf gingen. War diese Katzenlady wirklich verrückt? War sie genial? Hatte ihre Interpretation von Grannis’ Daten irgend etwas mit der Realität zu tun? Hatte sie nicht doch eine zweite Chance verdient, trotz der Feindseligkeit und dem Spott der anderen Mitarbeiter?
    Sie hob ihre Hand. »Sehen Sie, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Lassen Sie uns einen Kompromiß schließen. Sie bleiben noch eine Weile, aber Sie halten sich etwas zurück und bekommen auch nur noch das halbe Honorar. Ich versetze Sie aus Ihrem Büro in eine kleine Kammer am Ende des Flures. Aber Sie haben immer noch ungehinderten Zugang zu allen Daten. Kommen Sie einfach eine Zeitlang nicht zu unseren Besprechungen, bis die Aufregung sich gelegt hat. Okay?«
    Unter anderen Umständen hätte ich so ein Angebot sofort rundheraus abgelehnt. So eine entwürdigende Behandlung, so eine halbherzige Unterstützung hätte ich mir nicht bieten lassen. Aber hier waren wir nicht im Theater - und die siebzehn Fotos, die mich über Judy Mizeners Schulter ansahen, verscheuchten jeden Anflug von Verletztheit meinerseits.
    »Ja, gut«, sagte ich. Judy lächelte gequält und ging hinaus.
    Ich blieb sitzen. Mir war klar, daß ich, egal wie lange ich bei Retro blieb und egal, wie viel ich leistete, nicht mit der Hilfe der anderen Mitarbeiter rechnen konnte. Und ich würde ganz bestimmt Hilfe brauchen.
    Ich drehte mich ruckartig in meinem Stuhl um, denn plötzlich konnte ich die Blicke dieser Toten nicht mehr ertragen. Es war zu traurig. Viel zu traurig. Wenn ich zu Hause war, würde ich sofort meinen Freund Anthony Basillio anrufen. Er würde mir ganz bestimmt helfen. Er half mir immer.

7
    An diesem Abend ging bei Basillio zu Hause in Fort Lee, New Jersey, niemand als Telefon. Ich probierte es um sechs, um acht, um zehn und dann noch einmal um Mitternacht. Niemand nahm ab. Auch der Anrufbeantworter meldete sich nicht. Wo konnte er sein? Wo waren seine Frau und seine beiden kleinen Kinder? Waren sie umgezogen? Waren sie in Urlaub? Basillio fuhr nie in Urlaub.
    Wenn sie umgezogen wären, hätte Basillio sich bei mir gemeldet. Ganz bestimmt, obwohl wir seit unserem letzten gemeinsamen Abenteuer mit den mörderischen russischen
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