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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz
Autoren: Lydia Adamson
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der Opfer erklären könnte. Aber in keinem der Fälle hatte man dieses Motiv gefunden.
    Ich las die Protokolle bis zur Mittagszeit, dann machte ich einen ausgedehnten Spaziergang auf der Centre Street und widmete mich danach wieder dem blauen Ordner, wobei ich alles daransetzte, Mr. Turk nicht wieder über den Weg zu laufen.
    Ich war überrascht, daß die Informationen über Katzen in der Akte sehr ausführlich waren. Seitenlange Schaubilder zeigten, daß es keinerlei System und keine Übereinstimmungen zwischen den Katzen der Opfer gab. Die Opfer hatten alle verschiedene Katzen gehabt, manche waren reinrassig und andere nicht, manche waren bei Züchtern gekauft und andere in Zoohandlungen, wieder andere kamen aus Tierheimen. Es gab Siam- und Perserkatzen, Manx-Katzen, Russisch-Blau, getigerte Katzen und altmodische Streuner - männliche, weibliche, sterilisierte und kastrierte.
    Und alle waren nach den Morden sofort von Verwandten oder Freunden aufgenommen worden - das behauptete jedenfalls der blaue Ordner.
    Um zehn nach vier knallte ich den Ordner zu. Mein Kopf schmerzte. Jede Frage, die ich dem Computer hatte stellen wollen, war bereits beantwortet.
    »Wir hätten so glücklich miteinander sein können«, hörte ich den verrückten Mr. Turk sagen. Dann nahm er mir den blauen Ordner aus der Hand.
    »Dieser Ordner wird alle drei Tage mit den Ausdrucken der neusten Daten ergänzt«, sagte er, »und natürlich stehen wir Ihnen jederzeit für Ihre Anfragen zur Verfügung«. Hämisch setzte er hinzu: »Falls Sie welche haben sollten.«
    Ohne ein Wort zu sagen, verließ ich den Computerraum und wollte in mein Büro zurückkehren, als mich plötzlich das Bedürfnis überkam, mir noch einmal die Fotos anzuschauen.
    Der Klassenraum war dunkel und leer. Ich schaltete das Licht an. Diese Gesichter wiederzusehen, die so plötzlich vom Dunkel ins Licht traten, nahm mir den Atem. Ich setzte mich. Wie schön und friedlich sie alle aussahen, in der chronologischen Reihenfolge ihres Todes. Und wie merkwürdig es doch war, daß sie da oben an der Wand hingen, nur weil eine Spielzeugmaus an ihrem Todesort gefunden worden war. Der Gedanke deprimierte mich zutiefst. Je mehr ich darüber nachdachte, desto schrecklicher fand ich es - ihre Ruhe schien zu verfliegen. Es war, als ob ihr Opfer durch die Spielzeugmaus ins Lächerliche gezogen würde. Was für ein Opfer? Für wen war es bestimmt gewesen. Ich fing an, wie eine Priesterin zu denken. Ich schloß die Augen und versuchte zu dösen.
     
    »Abaelard ... hör mal, Abaelard ... komm raus, komm her, wo du auch sein magst. Ich bin’s, Héloise ... deine große Liebe.«
    Zwanzig Minuten lang hatte ich gerufen und war zwischen und unter den Möbeln herumgekrabbelt, hatte darüber, darunter und dazwischen nachgesehen. Er war irgendwo. Ich konnte ihn hören. Ich konnte hören, wie er sich vor mir versteckte.
    Ich war jetzt völlig davon überzeugt, daß Mrs. Salzman verrückt war und daß sie ihre Wohnung bis an den Rand mit völlig unnützen Möbelstücken vollgestellt hatte, um ihrer Katze möglichst viele Schlupfwinkel zu bieten.
    Und da ich ihn weder aufspüren noch herbeirufen konnte, fing ich an, das gesamte Repertoire gemeiner Tricks zum Hervorlocken von Katzen abzuspulen, die seit Urzeiten allen Catsittern der Welt bekannt sind.
    Dazu gehören: das Öffnen von Katzenfutterdosen, Knittern von Aluminiumfolie, Rufen der Katze in fremden Sprachen, Gesang, regloses Verharren in einer Art Yogastellung mit angehaltenem Atem (das kann unter Umständen die Neugier einer versteckten Katze erwecken) und andere Darbietungen, die besser verschwiegen werden.
    Abaelard blieb unsichtbar. Meine Frustration nahm zu. Ich war unverschämt genug, hundert Dollar für einen kurzen Besuch anzunehmen - da war es doch das mindeste, was ich tun konnte, mich mit eigenen Augen vom Wohlergehen des Tieres zu überzeugen.
    Ich beschloß, meinen absoluten Supertrick zum Hervorlocken von Katzen anzuwenden.
    Ich setzte mich auf einen Stuhl, schloß die Augen, faltete meine Hände sittsam im Schoß und fing an, die leisen Gurrlaute von Tauben, die auf einem hohen Gesims in ihrem Nest sitzen, zu imitieren. Diese kehligen Laute, deretwegen ungezählte Millionen von bedauernswerten Wohnungskatzen vor Blutrünstigkeit fast verrückt werden, wenn sie durch das geschlossene Fenster auf die saftige Beute schauen - so nah und doch so fern.
    Abaelard trat nicht in Erscheinung. Wütend brüllte ich ihn an - wo immer er sein
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