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Eine feine Gesellschaft

Eine feine Gesellschaft

Titel: Eine feine Gesellschaft
Autoren: Amanda Cross
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von dem Thema gehört hatten, das Gegenstand der Prüfung war, erklärte sich das Dekanats-büro offiziell für geschlossen. Die studentischen Stoßtruppunter-nehmungen gegen die Verwaltung entnervten die Sekretärinnen, die gezwungen waren, sämtliche Unterlagen und Dissertationen immer wieder vor der drohenden Beschlagnahme in Panzerschränke zu retten. Sie weigerten sich schließlich, die Büros überhaupt noch zu betreten, bevor die Lage sich nicht »beruhigt« habe. Heute waren vier Mitglieder des Prüfungsausschusses erschienen, was für die Beschlußfähigkeit reichte und Kate ebenso erleichterte wie den Kan-17

    didaten, der extra für diese Prüfung von Kalifornien eingeflogen war, wo er unterrichtete. Gott sei Dank langt es für ein ordentliches Ver-fahren, dachte Kate und nahm ihren Platz als Vorsitzende des Ausschusses am oberen Ende des Tisches ein. Rechts von ihr saß das andere Mitglied ihres Seminars, Peter Packer Pollinger, der offizielle Doktorvater. Links von ihr saßen die beiden notwendigen Vertreter der anderen Fachbereiche, Professor Kruger von der Germanistik und Professor Chang vom Institut für Asiatische Zivilisation. Professor Changs Anwesenheit war das Resultat absoluter Verzweiflung, denn die Anwesenheit eines nicht zum Englischen Seminar gehörigen Professors war vorgeschrieben, und schließlich hatte Auden ja mit Isherwood 1938 eine Reise nach China gemacht und darüber ein Buch geschrieben. Das Institut für Asiatische Zivilisation hatte Kate zwar mitgeteilt, daß Professor Chang noch nie in China war, aber schließlich konnte man von Beisitzern nicht zuviel verlangen.
    Alles fing ganz ordnungsgemäß an. Kate bat Mr. Cornford, den Raum zu verlassen, und teilte dem Prüfungsausschuß über Mr. Cornford mit, was sie einer speziellen Personalakte des Dekanats entnahm und ihr von Bedeutung erschien: seine Ausbildung, seine gegenwärtige Stellung, Thema und Datum seiner Arbeit. »Dann können wir den Kandidaten ja zur Prüfung hereinbitten«, sagte Kate hoffnungs-voll.
    »Einspruch«, sagte Professor Chang.
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Kate. »Ich wollte nicht zur Eile treiben. Gibt es eine Frage zur Person von Mr. Cornford? Oder zu Auden?«
    »Bitte sehr. Ich habe die Dissertation aufmerksam und mit gro-
    ßem Interesse gelesen. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß ich nicht dem Institut für Asiatische Zivilisation angehöre. Ich bilde Ingenieure aus.«
    »Ingenieure?« sagte Kate mit schwacher Stimme. »Ich fürchte, da hat es eine Verwechslung gegeben.«
    »Mr. Auden ist ein äußerst interessanter Schriftsteller«, sagte Professor Chang, »aber gibt es in China viel Kalkstein?«
    »Kalkstein!« sagte Professor Kruger. »Hier geht es wohl eher um die Weimarer Republik. Auden begreift einfach nicht, daß Todes-sehnsucht und die Ablehnung jeglicher Autorität…«
    An der Stelle fing Professor Peter Packer Pollinger an, durch seinen Schnurrbart zu schnaufen, was, wie Kate sehr gut wußte, ein untrügliches Zeichen dafür war, daß er demnächst in eine Rede aus-18

    brechen würde. Professor Pollinger hatte nur drei Reden in seinem Programm. Die erste handelte von der Interpunktion unter besonderer Berücksichtigung der Tatsache, daß im Englischen bei wörtlicher Rede das Komma immer innerhalb der Anführungszeichen steht. Er war bekannt dafür, daß er über die ungeheuren Gefahren, die eine Stellung des Kommas außerhalb der Anführungszeichen beinhalte, einen Vortrag von bis zu zwei Stunden Dauer halten konnte. Seine zweite Rede behandelte Fiona Macleod, das alter ego und Pseudo-nym eines irischen Schriftstellers der Jahrhundertwende namens William Sharp. Es war ihm gelungen (William Sharp, nicht Professor Pollinger, obwohl eine derartige Verwechslung auf rätselhafte Weise auch wieder passend zu sein schien), sich so perfekt, so schi-zophren vollkommen in sich selbst und gleichzeitig sein alter ego (das natürlich eine Frau war) aufzuteilen, daß er Anfälle bekam, wenn William Sharp nebst Gattin zu einer Party eingeladen wurden und Fiona Macleod nicht. Die letzten zehn Jahre hatte Professor Pollinger (er war jetzt siebenundsechzig) dem Sammeln aller erreichbaren Daten über William Sharp gewidmet, und er war entzückt, um nicht zu sagen gezwungen, jedem, der seinen Weg kreuz-te, die neuesten Erkenntnisse mitzuteilen. Auf diese Weise war trotz allen Sich-Versteckens praktisch jedermann im Englischen Seminar, vor allem aber die Sekretärinnen, die hinter ihren
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