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Eine feine Gesellschaft

Eine feine Gesellschaft

Titel: Eine feine Gesellschaft
Autoren: Amanda Cross
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umgekehrt zu versuchen? Oder ist das eine besonders reaktionäre Bemerkung?«
    »Nicht nur reaktionär«, sagte Mark, »sondern wahrscheinlich 15

    auch Grund genug, das ganze Gebäude zu besetzen. Was nun dieses Vorlesungsverzeichnis betrifft…«
    »Wieso reden wir am ersten Tag dieses Semesters über die Vorlesungen für das nächste?«
    »Wie Sie sehen werden, wenn Sie sich mit dem studentischen Komitee für die Endfassung des revidierten Verzeichnisses treffen, wird alles ständig umgeworfen, und deswegen müssen wir dieses verdammte Verzeichnis für das kommende Semester umgehend in Druck geben, damit daran nicht mehr gedreht werden kann und wir uns über das übernächste Semester in die Haare geraten können.«
    »Ich sitze in keinem studentischen Komitee für die Endfassung von irgend etwas, und ich werde auch niemals in einem Ausschuß sitzen, der solch ein barbarisches Wort wie ›Endfassung‹ in seinem Namen hat, und das ist endgültig«, sagte Kate.
    »Der Name steht noch nicht fest«, sagte Mark, »aber ich fürchte, Sie müssen einfach an dem Ausschuß teilnehmen, weil Sie das den ganzen Sommer über getan haben und als einzige wissen, was da vor sich geht.«
    » ›Uns fehlt die Fähigkeit, zu wissen, was wirklich vor sich geht‹, sagt Auden.«
    »Ich hatte keine Ahnung, daß Auden so relevant ist; allerhöchstes Kompliment.«
    »Ja, er ist es vielleicht«, sagte Kate, »aber ich nicht. Meinen Sie, das könnte mein ganzes Problem sein?«
    »Das ist das Problem, stimmt. Wir sind nicht nur wunderbar irrelevant, man hindert uns rätselhafterweise daran, die Früchte unserer Irrelevanz zu genießen, die da heißen frivole Freuden und Beschau-lichkeit.«
    »Ich wünschte, ich wäre eine afrikanische Nation«, sagte Kate.
    »Es muß so tröstlich sein, sich für im Stadium der Entwicklung befindlich zu halten.«
    Kate hatte gerade genug Zeit, in ihr Büro zu spurten, die Post, die sie unten aus ihrem Fach genommen hatte, zu der übrigen ungeöffne-ten auf ihren Schreibtisch zu legen, nach der Dissertation über Auden zu greifen, drei Studenten, die aus dem Nichts auftauchten, klarzumachen, daß sie jetzt weder Büro- noch Sprechstunde hatte, und mit totalem Gleichmut dem Läuten des Telefons zu lauschen. Kate behauptete nicht, aus den Zerreißproben des letzten Frühjahrs oder aus den anstrengenden Ausschußsitzungen des Sommers allzu viel gelernt zu haben, aber eines hatte sie begriffen: Es ist nicht nötig, 16

    den Telefonhörer abzuheben. Man kann immer so tun, als sei man nicht da. Diese irgendwie existentielle Entscheidung hatte zur Folge, daß Kate für weitere zweieinhalb Stunden dem entgehen konnte, was ihre Gouvernante die Begegnung mit dem Schicksal zu nennen pflegte. Eine hübsche Phrase. Aber Kate hatte früh entdeckt (wenn auch erst einige Zeit nach dem Verschwinden dieser Gouvernante), daß man einer vorbestimmten Begegnung nicht »entgehen« kann.
    Begegnungen sind entweder unvermeidlich oder unmöglich.
    Es war keineswegs üblich, daß ein Rigorosum, die letzte Prüfung zur Erwerbung des Doktorgrades (hier der Philosophie), am ersten Tag eines neuen Semesters stattfand. Tatsächlich hatte es das noch nie gegeben – wie so vieles, was gerade geschah. Doch die Revolte des Frühjahres hatte die Verschiebung einer ganzen Reihe von Doktorprüfungen unvermeidlich gemacht, teils, weil der vom Dekan eingesetzte siebenköpfige Prüfungsausschuß nur selten vollzählig zusammentreten konnte (die Mehrzahl kämpfte entweder mit Polizisten in Zivil, die am Eingang der Universität die Ausweise kontrol-lierten, oder sie flehten den Bürgermeister an, in die Vorgänge an der Universität einzugreifen. Und selbst wenn es möglich gewesen war, alle sieben zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu versammeln, fand sich kein Raum, in dem das Ganze dann stattfinden konnte. Der Direktor des Englischen Seminars, ein Mann, für den (so hatte Kate während des Sommers beschlossen) die Bezeichnung »langmütig«
    eine Untertreibung war, hatte mehrere Prüfungen in seinem Wohnzimmer abgehalten (zum sichtlichen Ärger seiner Kinder, die fernse-hen wollten), aber nach einer Weile wurden alle derartigen Bemü-
    hungen aufgegeben. Als der Punkt erreicht war, an dem ein Prüfungsausschuß (der zum Glück keine weiblichen Mitglieder hatte) sich auf der Herrentoilette des Fakultäts-Clubs versammelte und sich bald herausstellte, daß zwei seiner Mitglieder, die man in letzter Minute in den Ausschuß gebeten hatte, noch nie
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