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Eine feine Gesellschaft

Eine feine Gesellschaft

Titel: Eine feine Gesellschaft
Autoren: Amanda Cross
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Studenten, die Fakultät, der Campus? Es war nicht erklärbar. Die Liebe, mit der jemand an einer Stadt hängt, ist oft genug ein Geheimnis, hatte Camus gesagt; mit der Liebe zu einer Universität war es offenbar nicht anders.
    »Kate Fansler!« sagte eine Stimme. »Wie nett, wie nett, dich zu sehen. ›Ich muß unbedingt Kate anrufen‹, habe ich wieder und wieder zu Winthrop gesagt, ›wir müssen uns zum Lunch verabreden oder zum Dinner, wir müssen uns einfach mal treffen.‹ Und jetzt ist es uns gelungen.«
    Kate blieb auf den Stufen zur Baldwin Hall stehen und lächelte beim Anblick von Polly Spence. Es passiert immer das, was man am wenigsten erwartet! Polly Spence gehörte zum Kreis um Kates Familie – sie war vor Jahren ein Schützling von Kates Mutter gewesen –, und sie verbreitete die Aura von St. Bernard’s – dort waren ihre Söhne zur Schule gegangen – und von der Milton Academy.
    »Ich weiß es genau«, sagte Polly Spence, »meine Instinkte verraten mir, daß du, wenn ich hier nur lange und geduldig genug warte, irgend etwas sagen wirst, vielleicht sogar etwas so Profundes wie
    ›Hallo‹.«
    »Schön dich zu sehen, Polly«, sagte Kate. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich fühle mich wie die Heldin in diesem Stück von Beckett, die bis zum Halse eingegraben ist und jeden wachen Augenblick damit verbringt, in ihrer großen, unordentlichen Handtasche herumzuwühlen. Bist du gekommen, um zu sehen, wie die Aktion läuft – ich glaube, so drücken die jungen Leute das jetzt aus.«
    »Die Aktion? Ich würde das eher Respektlosigkeit nennen. Flü-
    che und Fäkalsprache für alles von A bis Z. Wenn ich daran denke, daß meine beiden armen Lämmchen schon mißbilligend angefunkelt wurden, wenn sie nur mal ›verdammt‹ sagten… Nicht leicht, mit dieser Welt zurechtzukommen.«
    »Aber wie ich dich kenne, schaffst du es.«
    »Natürlich. Ich mache meinen Doktor. Eigentlich habe ich die Promotion schon fast in der Tasche. Wie findest du das? Ich schreibe 12

    meine Dissertation bei den Linguisten über die Entstehung des Ver-nerschen Gesetzes. Sei bitte entsprechend beeindruckt. Im Linguistischen Seminar waren sie überglücklich, weil die Süßen dort keine Ahnung hatten, daß es überhaupt noch etwas Neues über das Vernersche Gesetz zu sagen gibt. Nun habe ich es ihnen erzählt, und sie haben es mit Fassung getragen.«
    Kate lächelte. »Ich hatte schon immer den Verdacht, daß hinter all deinen Frauenkomitee-Talenten ein außerordentlicher Verstand steckt, aber was hat dich denn auf die Idee gebracht, den Doktor zu machen?«
    »Meine Enkel«, sagte Polly. »Drei krähende kleine Buben und ein brabbelndes kleines Mädchen, alle unter drei. Das bedeutete entweder tagein, tagaus den Babysitter spielen – ganz abgesehen davon, daß die kleinen Lieblinge nur zu gern unter den durchsich-tigsten Vorwänden bei uns abgeladen würden –, oder ich mußte mir einen Job suchen, der Respekt einflößt. Winthrop hat mir Mut gemacht. ›Polly‹, hat er gesagt, ›wenn wir nicht jedes gesegnete Wochenende windelnwechselnd verbringen wollen, dann such du dir lieber eine anspruchsvolle Arbeit, die du vorschieben kannst.‹ Die Kinder sind natürlich sauer, aber ich bin inzwischen Assistentin und habe sehr viel zu tun, Gott sei Dank, und bin nur noch an Weihnach-ten und Ostern in der Lage, bei den Kleinen die Runde zu machen.
    Im Sommer mache ich mich davon und forsche, und Winthrop kommt mit, wenn er kann. Aber du siehst müde aus, und ich schwatze hier vor mich hin. Treffen wir uns mal zum Lunch im Cosmopolitan Club?«
    »Ich bin kein Mitglied.«
    »Natürlich nicht, meine Liebe, obwohl ich nie verstanden habe, warum nicht. Warum siehst du denn so müde aus?«
    »Sitzungen. Sitzungen und wieder Sitzungen. Wie du wohl ge-hört haben wirst, versuchen wir, die Universität umzustrukturieren, mit anderen Worten, wir haben, wie der Bursche in dem Zeichen-trickfilm, nach unten geschaut und plötzlich entdeckt, daß wir keinen Boden unter den Füßen haben. Und dann fallen wir natürlich.«
    »Aber es sind doch längst alle zurückgetreten. Der Präsident. Der Vizepräsident. Wir haben jetzt einen geschäftsführenden Präsidenten, wir bekommen einen Fakultätsrat, bestimmt geht es jetzt auf-wärts.«
    »Vielleicht. Aber am Englischen Seminar hat man entdeckt, daß es für die meisten Dinge, die man seit Jahren glücklich und zufrieden 13

    getan hat, überhaupt keine Grundlage gibt. Und was die Assistenten
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