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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau
Autoren: L Lander
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strengsten Wintern gibt es in der gesamten Ostsee überhaupt kein offenes Wasser.
    Die Brüchigkeit des Eises im Jahr 1883 erwies sich für Vartsala als günstig. Ein Lokomobil, das Baumaterial für ein Sägewerk transportierte, konnte seinen Weg nicht über die zugefrorene Halikko-Bucht fortsetzen, sondern musste Halt machen. Daraufhin wurde das Sägewerk eben an dieser Stelle, nämlich in Vartsala, errichtet. Später wurde auch eine Werft gebaut, in der Schiffe gewartet und repariert werden konnten. Bis zu hundert Personen beschäftigte man dort, aber die Branche war äußerst konjunkturempfindlich, weshalb die Anzahl der Arbeiter jährlich um mehrere Dutzend variierte. Bisweilen kam es auch zu langen Stillständen.
    Als das Sägewerk 1964 den Betrieb aufgab, führte das die Arbeiter und ihre Familien weg von Vartsala, aber in den neunziger Jahren erwachte das Dorf zu neuem Leben. Der größte Dank dafür gebührt der Erfolgsgeschichte der Firma Nokia in Salo, der nächstgelegenen Stadt. Inzwischen habe ich schon gehört, dass Leute das Dorf als Beverly Hills der finnischen Südwestküste bezeichneten. Das ist allerdings ein bisschen übertrieben. Zwar sind hier neue Häuser entstanden, eines protziger als das andere, zwar gibt es sauber frisierte Rasenflächen und private Tennisplätze, aber dazwischen stehen noch immer abbruchreife Häuser und sogar Baracken.
    Vor meinem Umzug nach Vartsala war ich dort nur gelegentlich mit meinem Großvater und Mamu zu Besuch gewesen, die damals schon in Turku lebten. Das Blockhaus, in das ich nun gezogen bin, wurde zwischen 1910 und 1920 gebaut und umfasst neben einer Küche zwei Zimmer und eine kleine Dachkammer. Es steht auf einem knapp drei Hektar großen Grundstück am Waldrand, etwas abseits vom eigentlichen Dorf. Unmittelbare Nachbarn gibt es nicht.
    Ich habe das Haus von Mamu geerbt, der Mutter meiner Mutter, die selbst nie darin gewohnt hat. Sie und mein Großvater erwarben es einst bei einer Zwangsversteigerung, wohl mit dem Hintergedanken, dass es einmal ihr Sommerhaus werden könnte. Sie ließen dann aber doch Arvi Malmberg, den Vorbesitzer, als Mieter darin wohnen.
    Vor ihrem Tod übertrug ihm Mamu das lebenslange Wohnrecht. Arvi Malmberg wurde dann fast 90 Jahre alt. Bis zum Schluss konnte er sich so weit selbst versorgen, dass es nicht gelang, ihn zum Umzug ins Altersheim zu bewegen. Man fand den Alten als mumifizierte Leiche im Blockhaus, fünf Monate nach seinem Tod, im Winter 1986.
    Die Dorfbewohner nannten ihn Knopf-Arvi, aber für mich war er Onkel Arvi. Mamu und ich besuchten ihn mehrmals im Jahr. Irgendwann wurde mir klar, dass er ein Pflegekind von Mamus Eltern gewesen war, ein Jahr jünger als meine Großmutter.
    Der Vater von Mamu, Olof Malmberg, hatte als Gärtner und seine Frau Elli als Köchin im Herrenhaus Joensuu gearbeitet, das sich damals im Besitz der Grafenfamilie Armfelt befunden hatte. Heute gehört das Gut dem Vorstandsvorsitzenden einer Bank. Mamu erzählte mir, sie habe viel Zeit bei ihren Großeltern verbracht, weshalb sie und Arvi von klein auf ein sehr enges Verhältnis gehabt haben mussten.
    Die Kinder im Ort ließen kein Missverständnis darüber aufkommen, dass der Knopf-Arvi mit seinem Einsiedlerdasein für eine Art Dorftrottel gehalten wurde. Der Alte redete praktisch mit niemandem, und außer meinem Großvater, Mamu und mir betrat niemand freiwillig sein Grundstück. Ich hatte keine Angst vor ihm. Was die Besuche bei Onkel Arvi in meiner Kindheit betreffen, so erinnere ich mich am besten an das Pferd. Jedes Mal hob der Alte mich hoch, damit ich das warme, seidenweiche Maul streicheln konnte. Später war das Pferd dann nicht mehr da.
    Zuletzt hatte ich das Dorf Vartsala im Mai 1984 gesehen, als die Apfelbäume blühten. Üppig weiß standen sie zwischen den rot gestrichenen Hofgebäuden. Die Vögel zwitscherten, die Meeresbucht leuchtete blau. Es war ein schöner Anblick. Aber die unbewohnten Häuser ließen den Ort geisterhaft und unwirklich erscheinen.
    Viele Leute würden das Blockhaus von Knopf-Arvi sicherlich für eine ziemliche Bruchbude halten. Strom ist sein einziger Komfort. Das Wasser stammt aus dem Brunnen, und der Abort befindet sich neben dem roten Holzgebäude, das Werkstatt und Sauna beheimatet. Es herrscht die Atmosphäre einer Welt, die es gar nicht mehr gibt. Die Veranda besteht komplett aus kleinen Scheiben mit kunstvollen Holzgittern dazwischen. Ein paar Ausbesserungen habe ich bereits vorgenommen, ich habe Kitt
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