Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau
Autoren: L Lander
Vom Netzwerk:
in ihr Lied einstimmte. Allerdings streikte seine Staublunge mitten im Gesang, der Maschinenarbeiter erstickte neben dem Harmonium, und obwohl das in musikalischer Hinsicht keineswegs ein Verlust war, fühlte sich Frau Runolinna dadurch in einem Maße gekränkt, dass sie es fortan nicht mehr wagte, das arbeitende Volk mit Hilfe der Musik empfänglicher für den Herrn zu machen.
    Auch das Haus des Direktors steht noch, zwar nicht die Holzvilla des Patrons Jakobsson, sondern der nach dem Krieg komplett neu gebaute, rundherum verputzte Bau mitten im schönen Garten. Das heißt, schön ist er nicht mehr, letztes Jahr hat sich eine Herde Ziegen daran gütlich getan, hat all die seltenen Blumen und Sträucher und Obstbäume, mit denen Gärtner Englund so viele Meriten eingeheimst hatte, vertilgt. Nichts ist mehr übrig von den vornehmen Sandwegen, auch nicht von dem Gewächshaus, in dem sogar Weintrauben reiften. Und das Zierbecken, über dessen Zweck die Sägewerkarbeiter sich gar nicht genug wundern konnten, ist mittlerweile eine zugewachsene Pfütze. Nein, nichts ist mehr übrig vom alten Glanz.
    »Man kann sie sich nicht mal mehr vorstellen, all die Düfte und Farben«, lacht der Mann am Fenster auf und denkt daran zurück, wie der Sohn von Lindroos mit einer Schnapsflasche voll Wasser am Garten vorbeistolzierte, zur Zeit der Prohibition natürlich, mit der Absicht, den Patron zu reizen. »Es wäre lustig gewesen, die Visage des Alten zu sehen, wenn er zuerst getobt und dann hätte zugeben müssen, dass es nichts ist als Wasser, zum Deibel aber auch!«
    Nein, es ist nichts mehr übrig, nicht einmal die Ziegen. Aber die Gebäude stehen noch. Und da ist noch der ein oder andere, der sich erinnern kann. Einer, der nicht an Tuberkulose, Milzbrand, einer Kugel oder vor Altersschwäche gestorben ist. Eine »Person mit gutem Leumund, die das Arbeiten gewöhnt ist«, wie es damals in den Stellengesuchen hieß. Ein Sägewerkarbeiter aus Finnland, aus dem Dorf Vartsala in der Gemeinde Halikko.
    Das Arbeiten gewöhnt – ja, das sei er, doch über den guten Leumund lacht er laut, wischt sich die Tränen aus dem Glasauge, das er aus dem Fortsetzungskrieg mitgebracht hat, und schüttelt den Kopf: Kommt ganz drauf an, was mit gutem Leumund gemeint ist; die Ehre, die bürgerlichen Rechte und die Arbeit sind ihm zeitweise genommen worden, aber sein Leumund ist dabei immer mehr gewachsen.

1903
    Die Säge ging am 7. Januar in Betrieb, und ich war den ganzen Winter als Kärrner da. Für 10 Stunden Arbeit bekamen wir 2,25 Pfennig am Tag.
    7. Februar. Die Genossenschaft in Halikko wurde gegründet.
    3. April. Die Säge stand und ging am 20. wieder in Betrieb.
    Am 13. April kam der erste Dampfer.
    Am 28. Juni war ich in Paimio beim Volksfest.
    2. Juli. Sakari Salin wurde getraut.
    3. Juli. Viki ging nach Amerika.
    17.–20. August. Versammlung in Forssa, bei der die Arbeiterpartei den Namen Finnische Sozialdemokratische Partei annimmt und 11 Ziele für die nahe Zukunft aufstellt.
    Am 4. Oktober fuhr ich nach Mariehamn.
    6. Oktober. Ein Triebwagen der Firma Siemens überschritt eine Geschwindigkeit von 200 Kilometer/Stunde.
    Am 10. Dezember gewannen Pierre und Marie Curie den Nobelpreis für Physik.
    Am 17. Dezember flogen die Brüder Orville und Wilbur Wright zum ersten Mal mit einer Motormaschine. Das Gewicht des Luftschiffs betrug 238 kg, 8 Motorpferdestärken. 5 Personen kamen, um sich den Flug anzugucken.

Arvi, 6
    August 1903
    Die alte Speisekammer des Gutshauses ist renoviert und zum Nähzimmer umfunktioniert worden, in dem nun auch eine neue Nähmaschine steht, eine deutsche Stoewer, ausgezeichnet mit fünf Goldmedaillen. In den Regalen stapeln sich Stoffballen: Seidenmusselin, Chiffon, Tüll, Chinakrepp. Unter den sommersprossigen Händen von Tante Olga rattert die Maschine über einen marineblauen Stoff, aus dem ein Matrosenanzug werden soll für Paul, den Sohn des Konsuls, der bald aus Stockholm eintreffen und hier seine Ferien verbringen wird. Kräftig tritt die Tante die Maschine, und die Flecken unter ihren Armen werden immer größer. Süßlicher Schweißgeruch mischt sich mit dem Duft von Stoff und Stärke.
    Arvi sitzt auf dem Fußboden und sortiert die Garnrollen und Bänder in eine schwarze Blechdose mit flammenartigem Muster ein. Der Junge beobachtet genau das Steppen der Jackenaufschläge. Er ist jederzeit bereit, Tante Olga das zu reichen, was sie braucht: Schere, Fingerhut, goldenes Band, Stecknadel, einen Knopf in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher