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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau
Autoren: L Lander
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dann ihren Mann. Aber sie kann es sich nicht leisten, der Trauer zu viel Macht einzuräumen, denn ihr ist ein kleiner Junge anvertraut worden, den sie großziehen soll. Erst als auch diese Aufgabe erfüllt und aus dem kleinen Jungen ein verantwortungsbewusster, anständiger Mann geworden ist, hat Saida endlich das Gefühl, mit ihrem Vater und ihrer Mutter und mit Gott wegen des einen Pferdes und des einen Heureuters quitt zu sein.

Vartsala, 12. Juli 2009
    Der Ofen ist nun komplett abgetragen, und bald werde ich anfangen, den neuen zu mauern. Aber noch nicht heute.
    Am Morgen rief mich meine Tochter an. Ich sei Großvater eines dreieinhalb Kilo schweren, 52 Zentimeter großen Super-mädchens geworden.
    Die Geburt habe verdammt wehgetan, aber allmählich bekomme die junge Mutter den Eindruck, als wäre es die Mühe wert gewesen. Das Kind habe ein wahnsinnig süßes Gesicht und ein bisschen dunklen Flaum auf dem Kopf, aber daraus könne man noch nicht auf die endgültige Haarfarbe schließen. Außerdem blieben die womöglich gar nicht lange. Die Finger seien unfassbar klein, wie Blütenblätter. Ich hätte allen Grund, meinen Hintern schnellstmöglich in die Uniklinik von Tampere zu bewegen und einen Stapel Taschentücher mitzunehmen, so eine Heulsuse wie ich sei. Allerdings wäre es vielleicht eine gute Idee, nicht gleichzeitig mit der Großmutter mütterlicherseits aufzutauchen, die man übrigens auf keinen Fall Oma nennen dürfe, sondern weiterhin mit ihrem Vornamen Aili anzureden habe.
    Ja, und hoffentlich freue mich auch die Tatsache, dass meine liebe Tochter und mein unterm Pantoffel stehender, noch nicht angetrauter Schwiegersohn entschieden hätten, dem Kind den Namen Saida zu geben. Ich solle nicht fragen, warum, denn das wisse sie selbst nicht. Vermutlich habe es aber damit zu tun, dass ich den Frühling und Frühsommer über am Telefon endlos von der Mutter meiner Mutter gequatscht habe. Da sei der Name garantiert hängen geblieben.
    Endlos gequatscht … Hatte ich das?
    Ja, aber das sei okay gewesen, denn wir hätten seit Jahren nicht so viel miteinander geredet wie in den letzten Monaten. Viele Geschichten aus dem Leben ihrer Urgroßmutter Saida hätten meiner Tochter außerdem geholfen, weniger Angst vor der Geburt und vom Muttersein zu haben, weshalb das Kind nun Saida heißen werde, auch wenn Aila deswegen noch so im Dreieck springe. Und was die Taufe betreffe, so dürfe man dort nicht in Hippieklamotten oder Maurerkluft aufkreuzen, sondern habe in Anzug und Krawatte zu erscheinen.
    Jetzt aber hopp, hopp zur nächsten Bushaltestelle, zum Bahnhof oder zur Pferdepost, falls Interesse bestehe, die kleine Saida zu sehen, solange sie noch ein paar Haare auf dem Kopf habe. Und angesichts meiner hoffnungslosen Zerstreutheit solle der Hinweis nicht unerwähnt bleiben, dass heute der Sonntagsfahrplan gelte. Okay?
    Ich wischte mir mit dem Ärmel über die Augen. Es schnürte mir die Kehle zusammen, ich musste auflegen.
    Okay.
    In Halikko hatte ich eine Dreiviertelstunde Zeit, bis der Bus fuhr. Ich ging durch das Tor in der Trockenmauer und den Sandweg entlang. Als ich mein Ziel erreicht hatte, las ich die Verse auf dem Grabstein der älteren Saida:
    So viel wir an Liebe in uns tragen,
    so viel Ewigkeit tragen wir in uns.
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