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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau
Autoren: L Lander
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assyrischen Männern der Unzucht hingaben.
    Als er im Herrenhaus Joensuu predigte, fiel Herman sofort auf, dass Emma von den unverheirateten Mädchen nicht unbedingt das schönste war, aber das größte allemal, und sie schien eine ausgeglichene Frau mit liebevoller Natur zu sein. Auf dem Hochzeitsfoto steht der frischgebackene Ehemann auf zwei Bibeln, um in überzeugender Weise größer auszusehen als seine Frau. In einem Brief, den Herman nach Hause schickte, verriet er den Schwindel, zur ungeheuren Freude seines Vaters.
    Ivar Harjula sah bereits hochgewachsene Enkel vor sich, deren Nachkommen dank klug gewählter Ehefrauen endlich die Kurz- und Stumpfbeinigkeit im Geschlecht der Harjulas ausrotten würden.
    Zum Herrenhaus Joensuu gehörte ein Sägewerk, dessen gewerblicher Betrieb sich jedoch verlor. Die Säge diente nur noch eigenen Zwecken. Bei einem Gut von 6500 Hektar bestand freilich genug Eigenbedarf an Bauholz. Es gelang Herman, die Stelle zu bekommen, obwohl er nicht über die volle Qualifikation verfügte. In jungen Jahren hatte er für kurze Zeit als Handlanger des Drehers in seinem Heimatdorf gearbeitet, aber das genügte, denn es meldete sich kein Bewerber mit mehr Fachkompetenz. Außerdem glaubte der Gutsverwalter, dass die Anwesenheit dieses Antialkoholikers, der bei der Arbeit wie in der Freizeit leidenschaftlich das Wort Gottes verkündete, den trinkfreudigen und dem außerehelichen Beischlaf frönenden Arbeitern des Guts zumindest nicht schaden würde.
    Die älteste Tochter Saida wurde exakt neun Monate nach der Hochzeit geboren. Herman war enttäuscht, weil es ein Mädchen war, Emma freute sich, weil das Neugeborene immerhin als Sonntagskind zur Welt kam. Sonntagskinder waren nämlich von Gott in besonderem Maß gesegnet. Die Bestätigung, dass es sich um ein besonderes Mädchen handelte, fand Emma, als die Kleine im Alter von einem Jahr vor ein Pferd trat, das eine Fuhre Heu zog. Da es leicht bergab ging, hatte der Knecht das Pferd traben lassen und das kleine Mädchen nicht bemerkt. Als das Pferd nun abrupt anhielt und sich auf die Hinterläufe stellte, fiel der Knecht von der hohen Fuhre. Das Tier blieb so lange auf den Hinterbeinen stehen, bis Emma die Kleine unter den strampelnden Vorderhufen weggeholt hatte.
    Sie begriff, dass Gott das Pferd auf die Hinterläufe gestellt und ihm befohlen hatte: Bleib so! Und das Tier hatte gehorcht, auch wenn die Kandare geklirrt und die Zugriemen geknarrt hatten. Das Kind hatte keinerlei Anzeichen von Schrecken gezeigt, es hatte nur gelächelt und mit seinem kleinen Zeigefinger staunend auf das Pferd gedeutet.
    Mit vier Jahren war das Mädchen mit seiner Mutter bei großer Hitze auf der Heuwiese, als ein heftiger Wirbelsturm plötzlich einen Heureuter aus der Erde riss und mitsamt fünf Gabeln Heu über der vor Erstaunen aufjuchzenden Saida durch die Luft wirbelte. Und auch diesmal hielt der Herr den angespitzten Heureuter so lange in der Luft, bis die Mutter zu ihrem Kind gerannt war und es in Sicherheit gebracht hatte. Nach diesen Zeichen war Emma mit unerschütterlicher Sicherheit davon überzeugt gewesen, dass Gott mit diesem Kind etwas Besonderes vorhatte.
    Anderthalb Jahre nach Saida kam die zweite Tochter Siiri zur Welt. Die Geburt dauerte zwei Tage, und keiner davon war ein Sonntag. Das Kind befand sich in Steißlage, Emma wäre fast gestorben. Der Kummer hatte Herman fast zermürbt, weil auch das zweite Kind ein Mädchen war, und sein Unglück setzte sich fort: Drei Jahre später, im Jahr 1900, brannte das Sägewerk des Herrenguts. Graf Armfelt teilte mit, er werde kein neues bauen lassen. Herman musste mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Töchtern in das gut zehn Kilometer entfernt liegende Uferdorf Vartsala umziehen, wo ein kaufmännisch erfolgreiches Sägewerk lief. Dort gab es für einen Dreher Arbeit, nicht nur bei der Säge, sondern auch auf der Werft.
    Die Predigtreisen hatte Herman als Mann mit Familie beinahe ganz eingestellt. Schon nach der Anschaffung der Ehefrau war seine Begeisterung für die Verkündung des Wortes Gottes ziemlich abgekühlt. Der Umzug von dem wohlhabenden Rittergut in die trostlose Arbeiterkaserne des kleinen Dorfes weckte vor allem bei Emma viel heimlichen Verdruss, der im Zusammenspiel mit anderen Problemen am Verhältnis der Eheleute zehrte. Aber waren denn nicht die meisten Ehen mehr oder weniger unglücklich? Zum Menschenleben gehörte es auch, sich still und leise mit einem unharmonischen Bund fürs Leben
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