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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau
Autoren: L Lander
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nicht unterwegs bin, setze ich meine Nachforschungen über die Ereignisse im Heimatdorf meiner Großeltern im vorigen Jahrhundert fort und erstelle eine Art Zusammenfassung. Den Impuls dafür bekam ich, nachdem ich eine vor mehr als 20 Jahren in Auftrag gegebene Chronik der Gemeinde Halikko gelesen hatte, die auf Interviews mit den Dorfbewohnern beruhte und auf den Tagebucheintragungen, die der Sägewerkarbeiter Joel Tammisto seit 1903 vorgenommen hatte. Die Chronik war in Romanform verfasst worden und schwer zu lesen gewesen. Die Tagebucheintragungen von Joel Tammisto hingegen waren in ihrer lakonischen Art beeindruckend. Der Mann weckte aber auch deshalb mein Interesse, weil ich wusste, dass er ein enger Freund meiner Großeltern gewesen war.
    Noch als ich bei der Ofenbauer AG beschäftigt war, fing ich an, nach weiteren Informationen über Joel Tammisto zu graben, während der Arbeitszeit, wenn ich die Nase voll davon hatte, auf den öden E-Mail-Humor von Kollegen und Kunden zu reagieren.
    Hier in meinem neuen Zuhause habe ich mit Reißzwecken die Kopie eines Fotos über dem Schreibtisch befestigt. Man sieht darauf meinen Großvater Sakari Salin mit Joel Tammisto als junge Männer in schwarzen Anzügen, weißen Hemden und mit Filzhüten vor einem Fahrrad stehen. Auf einem zweiten Foto sitzt Mamu, meine Großmutter mütterlicherseits, Saida Harjula, auf einem Holzstapel, als kleines, barfüßiges Mädchen mit Zöpfen zwischen vier Frauen mit weißen Schürzen.
    Ich bin besessen von dem Wunsch zu wissen, wer diese Menschen waren. Was sie dachten und wie sie handelten, damals, als die Welt Feuer fing und mit heißen Flammen brannte, als die Feuerfunken weit in die Höhe flogen.
    Die Säge fängt an zu laufen. Heute ist es so weit.
    »Jau«, sagt der Mann, »na und?«
    Er sitzt vor dem Schwanenbild, das Kustaa Vuorio gemacht hat, im Arbeiterhaus, welches einen neuen Anstrich gebrauchen könnte. Er ist ein zäher Baumstumpf, der sich an seine Wurzeln klammert und sich in jene Stunden zurückversetzt, in denen es um ihn herum vor Leben wimmelte.
    Er sieht auf die alten Fotografien, lacht schallend: »Guck, das ist mein Vater Joel Tammisto mit seiner Clique vom Sägewerk. Kein großer Mann, in keiner Weise stattlich, doch in jeder Disziplin so flink, dass er nicht zu überbieten war. Ob nun beim Skilanglauf oder beim Gedichterezitieren, eine Medaille sprang für ihn immer heraus.«
    So dichtete Mitte der achtziger Jahre die preisgekrönte Jungforscherin, als sie ihre Chronik der Gemeinde Halikko schrieb. Der literarische Ehrgeiz schien die junge Dame bedenklich weit von dem weggeführt zu haben, was die guten Bürger der kleinen Kommune im Sinn hatten, als sie ihr den Auftrag erteilten. Linkspolitische Überzeugungen und eigenmächtige literarische Freiheiten haben zu einem Resultat geführt, das man am Ende wohlweislich im Keller des Gemeindehauses eingeschlossen hat. Mich interessiert die Chronik vor allem in den Abschnitten, in denen sie sich auf die Tagebucheintragungen des Revolutionärs Joel Tammisto stützt sowie auf die Interviews mit alten Dorfbewohnern, die der Gemeindesekretär irgendwann Ende der siebziger Jahre auf Tonband aufgenommen hat.
    »Ach, die Säge soll wieder in Betrieb genommen werden?«
    Der alte Mann blickt aus dem großen Fenster auf das Bretterlager hinaus, wo sich die aufgehäuften Stämme im günstigsten Fall bis zur Straße hin erstreckten und in zwei Schichten gut und gern 2000 Stämme am Tag zersägt wurden.
    Jetzt hat sich das Gras des leeren Geländes bemächtigt, kalt fegt der Wind darüber hinweg. Die Gebäude des Sägewerks stehen noch immer da, als knarrende, morsche Überreste der Vergangenheit. Daneben halten sich die Wohnhäuser, die zweistöckige Mietskaserne, errichtet Anfang des Jahrhunderts, und der in den zwanziger Jahren auf die Schnelle hochgezogene Bau für die Streikbrecher.
    Und auf der felsigen, windigen Anhöhe Kukkulinmäki stehen die drei Häuser, von denen zwei im Volksmund Hochburgen genannt werden. Das andere ist das Zugvogelnest, nach den umherziehenden Holzarbeitern. Diese nämlich waren so vogelwild, dass sie sich sogar zur Arbeitszeit im Sägewerk prügelten.
    Unterhalb der Anhöhe steht die alte Schule, die eigentlich als Gebetshaus errichtet worden war. Die Älteren erinnern sich noch lebhaft an die lebendige Musikdarbietung des damaligen Kantors und von Frau Runolinna, die damit endete, dass Maschinenarbeiter Forsman, von der Freikirchlichkeit verzückt,
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