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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau
Autoren: L Lander
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besorgt, den die Kohlmeisen so sehr mögen, und zerbrochene Scheiben ersetzt. Wenn es noch etwas wärmer wird, kann ich zum Malerpinsel greifen.
    Alles in allem befindet sich das alte Blockhaus in gutem Zustand. Das Dach ist dicht, unter dem Holzfußboden zirkuliert genügend Luft, und auch sonst ist die Konstruktion gut gelüftet gewesen. Dank des fehlenden Komforts ist es in dem Haus, das 20 Jahre kalt dagestanden hat, nicht zu Wasserschäden und darum auch nicht zu morschen Stellen gekommen.
    Ich versuche meinen Lebensunterhalt zu verdienen, indem ich den Leuten Grundstückseinfassungen und andere Konstruktionen aus Stein in ihren Höfen und Gärten mache. Große Investitionen erfordert meine Arbeit nicht. Ich binde Spaten, Eisenstange und Wasserwaage ans Fahrrad und fahre in einen Vorort von Salo, wo mich Olli Nieminen, der Besitzer eines Geschäfts für Haushalts- und Elektrogeräte, meine Schubkarre und meine handbetriebene Winde aufbewahren lässt. Die übrigen Werkzeuge – Zollstock, Winkel, Schlagschnur und Gummihammer – trage ich im Rucksack. Gegen Arbeitsleistung darf ich mir Nieminens überall geflickten, mit roter Rostschutzfarbe gesprenkelten Toyota-Dyna-Kipper ausleihen.
    Damit hole ich mir von den Baustellen an der Autobahn Helsinki –Turku Sprengsteine, immer zwei Tonnen auf einmal. Roten Granit bekomme ich von dem Streckenabschnitt bei Lohja, wo vor zwei Jahren einige Tunnel gebaut und Felsdurchbrüche gemacht wurden. Grauen Granit hole ich mir kurz vor Turku, wo man für eine Auffahrt zum neuen Einkaufszentrum den Felsen gesprengt hat. Der schwarze Tonschiefer aus Tammistos Steinbruch reicht als einziges Material nicht aus. Man muss den Kunden verschiedene Farbalternativen anbieten können.
    Mörtel verwende ich überhaupt nicht. Ich mache ausschließlich freie Konstruktionen, die üblicherweise als Trockenmauern bezeichnet werden. Mir gefällt ihre einfache, naturnahe Gestalt. Anstelle des Zements, den man kaufen muss, werden solche Mauern von einem kostenlosen, unbegrenzt vorhandenen Bauelement zusammengehalten: von der Schwerkraft.
    Eine frei aufgeschichtete Trockenmauer wiegt etwa tausend Kilo pro laufendem Meter. Jeder Stein bindet die Steine unter sich, über deren Fuge er liegt. So erreicht man eine feste Konstruktion, in der letztendlich jeder Stein jeden anderen stabilisiert. Da kein Mörtel die Konstruktion starr macht, hält sie endlos lange jeder Frostbewegung stand, und es sind keine aufwändigen Fundamentarbeiten nötig.
    In Finnland gibt es an Zufahrten zu Herrenhäusern und rings um Kirchhöfe noch mehrere hundert Jahre alte Trockenmauern. Stellt man sich vor eine solche Mauer und nimmt einen losen Füllstein heraus, kann man sich vorstellen, der erste Mensch zu sein, der nach dem Maurer diesen Stein anfasst. In den Hungerjahren am Ende des 19. Jahrhunderts ließen auch zahlreiche Großbauern Steinmauern anfertigen, weil die Maurer damals bereit waren, bloß gegen Kost zu arbeiten.
    Ich stelle meine Rechnungen nach laufendem Meter. Im Prinzip handelt es sich also um Akkordarbeit. Allerdings kann man eine derartige Arbeit mit Steinen nicht im Akkord erledigen. Es kommt auf ein stabiles Resultat an, das dem Auge gefällt. Und das erreicht man nicht, wenn man sich hetzt.
    Angeblich werde ich im Dorf bereits als »der Steinmann« bezeichnet. Das ist mir nur recht. Ich weiß nicht, wie viele solcher Steinmänner es in Finnland gibt. Auf jeden Fall handelt es sich um eine untergehende Branche. Die Bauindustrie hat Techniken entwickelt, mit denen man schnell und billig Konstruktionen herstellen kann, die ähnlich aussehen wie traditionelle Trockenmauern. Auf den Baustellen kommen beim Bewegen und Heben der Steine Maschinen statt Muskeln zum Einsatz. Anstelle einer genau überlegten Schichtung wird Mörtel verwendet, den man nicht sieht, und die gesamte Konstruktion ruht auf einer unter der Bodenfrostschwelle angelegten Sohle und einem darauf gegossenen Sockel.
    Echte Trockenmauern lassen sich Kunden machen, die das alte Geld repräsentieren und bereit sind, einen vielfachen Preis für Handarbeit und ein Ergebnis zu bezahlen, das bis zur nächsten Eiszeit hält. Ich werde mir bei meiner Arbeit also nicht die Finger mit Mörtel schmutzig machen. Die Baumarktmischung darf warten, bis ich den zerfallenen Backofen meines Blockhauses repariere und für Olli Nieminens Installationshalle den Anbau mauere, als Gegenleistung für das Leihen des Kippers und ein paar anderer Sachen.
    Wenn ich
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