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Tag der Entscheidung

Tag der Entscheidung

Titel: Tag der Entscheidung
Autoren: Raymond E. Feist
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Eins
    Ausflucht

    Die Türklappe bewegte sich.
    Jamel, der geringere Magier, zuckte bei dem Geräusch zusammen. Seine schwitzende Hand drückte das Messer dicht an die Brust. Er wußte, daß ihm nur wenige Sekunden blieben. Sein Körper würde eine Weile brauchen, um das Leben aufzugeben, nachdem er sich in die Klinge gestürzt hatte. Angst vor der Qual, die er erleiden würde, ließ den kleinen Mann zögern. Er bewegte die feuchten Finger, biß sich auf die Unterlippe. Er mußte seinen ganzen Mut zusammennehmen! Die schwarzen Roben besaßen Zaubersprüche, mit denen sie dem Wallum befehlen konnten, körperlich zu bleiben. Wenn er nicht bei der Ankunft der Magier vor dem göttlichen Gericht des Roten Gottes sitzen würde, würden seine Qualen durch ihre Hände noch viel schlimmer sein als ein schmerzhafter Tod.
    Denn er hatte sich ihnen widersetzt, und zwar offen, indem er mit der Lady der Acoma gesprochen hatte. Die Magier hatten sich klar ausgedrückt, was die Gute Dienerin betraf. Sie sollte nichts über Magie erfahren, selbst wenn sie mit Bestechungsgeldern in der Hand danach fragen würde.
    Jamel spürte das Säckchen mit Metallcentis an seiner Haut, und er unterdrückte ein bitteres Lachen. Er würde niemals die Gelegenheit haben, sie auszugeben. Und wenn er sich auch etwas Zeit wünschte, um sie dem Straßenmädchen zu geben, das weiter unten am Weg wohnte und eine Freundin von ihm war, so gestattete ihm das Schicksal doch nicht einmal die Gnade dieser Großzügigkeit. Er hatte seinen Weg gewählt. Zu spät war jetzt jeder Wunsch, Worte nicht gesagt und Entscheidungen nicht gefällt zu haben.
    Ein letztes Mal schweifte Jamels Blick durch die armselige, unordentliche Hütte, die sein Heim gewesen war. Hier hatte er viele Wunder zustande gebracht, um die Kinder der Reichen zu erheitern; doch wie anders wäre sein Leben gewesen, wäre seine Macht nicht auf die Herstellung von Spielzeug beschränkt worden! Hungrig nach dem Wissen, das ihm verwehrt worden war, dürstend nach den Grenzen, die er niemals hatte überschreiten dürfen, seufzte Jamel bitter auf.
    »Die Götter seien mit Euch, Gute Dienerin«, sagte er bang. »Und möge der Fluch Zurgaulis, des Gottes des Unglücks, unaufhörlich die Versammlung heimsuchen.« Mit diesen Worten warf er sich auf den Boden, genau vor dem Kissen, auf dem Lady Maras Offizier gesessen hatte.
    Das Messer drang tief in sein Herz ein, und seine Qual war nur von kurzer Dauer.

    Blut sickerte in den trockenen Boden; die zerfetzten Kanten der mitgenommenen Kissen zeigten schwungvolle Halbmonde in Scharlachrot, wo die warme Flüssigkeit sich erst gesammelt hatte und dann vom Stoff aufgesogen worden war. Jamels zitternde, zusammengepreßte Finger wurden schlaff, und seine geöffneten Augen schimmerten reglos im Schein der glühenden Kohlen. Im nächsten Augenblick zog ein Luftwirbel durch die Kammer, verteilte die zusammengerollte Asche des Pergaments, auf dem Notizen für Mara gestanden hatten, bevor es verbrannt worden war. Die Vogelfedern in der Urne bei der Kleiderkiste wehten leicht, und die Glöckchen eines unverkauften Kinderspielzeugs entließen ihren unschätzbaren Gesang in die Stille. Draußen, im Dunkel der Nacht, heulte noch immer der Mischlingshund.
    Dann erscholl über dem Geräusch der Luftbewegung ein schwaches Summen, und die Hütte war auf einmal nicht mehr leer. Neben dem reglosen Körper Jamels erschienen zwei schwarzgekleidete Gestalten, beide extrem dünn, der eine alt, der andere jung.
    Shimone schob seine Kapuze zurück, und die ausgehende Kohle auf der Kohlenpfanne zeichnete die Linien seiner Nase rot nach. Er blickte sich in der Behausung um, nahm rasch jede Einzelheit in dem Durcheinander auf; dann hielt er inne und schnüffelte gedankenvoll. Seine Sandalen waren feucht, und die Pfütze, in der er stand, war noch warm. Den Reaktionen nach hätte der Körper genausogut ein weiteres Stück Nippes sein können. Seine tiefen Augen blitzten, als er seinen Kameraden anblickte. »Zu spät«, sagte er.
    Tapek stieß Jamels Körper mit dem Fuß an, und seine dünnen Lippen verzogen sich verächtlich. »Nur um wenige Sekunden.« Er spuckte die Worte wie einen Fluch aus. »Wenn der arme Wicht nur eine Minute länger gezögert hätte …«
    Shimone zuckte mit den Achseln. In seinen dünner werdenden Silberhaaren fing sich das Licht wie in einem Hahnenkamm, als er die Seiten der Hütte abschritt, feuchten Fußspuren folgte und die Regale untersuchte, mit besonderer
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