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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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schwer, ich bin allzu erregt und könnte erneut alle in Aufregung versetzen, doch ich möchte, möchte ganz furchtbar ruhig und vernünftig sein. In der Nacht habe ich alles überdacht, und folgendes ist es, das mir quälend klargeworden ist: Mit der einen Hand liebkost Du mich, während Du mir das Messer zeigst, welches Du in der anderen hältst. Gestern fühlte ich undeutlich, daß dieses Messer mein Herz bereits verletzt hat. Dieses Messer ist Deine ausdrückliche Drohung, das mir gegebene Wort zurückzunehmen und still und heimlich von mir fortzugehen, wenn ich jene bleibe, die ich nunmehr bin. Wozu dann also überhaupt irgend etwas glauben, wenn am nächsten Tag jedes Versprechen zurückgenommen werden kann?
    Jene, die ich nunmehr bin, ist zweifellos eine Kranke, welcheihr seelisches Gleichgewicht verloren hat und darunter leidet. Also werde ich nun in jeder Nacht, wie in der vergangenen, horchen müssen, ob Du nicht von mir fortgehst? Und jedesmal, wenn Du irgendwohin fährst, werde ich Angst haben, daß Du auf immer von mir gegangen bist. Begreife doch, lieber Ljowotschka, daß die Drohung mich zu verlassen der Drohung, mich zu töten gleichkommt. Ja, kann ich denn leben ohne Dich? Werde ich es ertragen können, daß Du mich ohne jegliche Schuld meinerseits verläßt, mich, die ich unglücklich und krank bin und die Dich heiß und innig liebt, mehr als jemals zuvor? Wie soll ich nach solch einer Drohung gesunden, wenn ich Tag und Nacht fürchten muß, daß Du fortgehst? [...] Dann war da noch der Brief von Tschertkow, bei dem Du zu weinen begannst. Vermutlich hofft er, Du gäbest ihm die Tagebücher wieder für seine Arbeit, wenn Du es für richtig hältst. Wieder ergreift mich Tag und Nacht Verzweiflung, daß Du sie ihm hinter meinem Rücken geben wirst. [...]
    Nimm diese beiden schweren, mich immerfort peinigenden Ängste von mir: 1) daß Du still und heimlich von mir fortgehen wirst, 2) daß Du still und heimlich Tschertkow die Tagebücher wieder übergeben wirst. [...] Ich werde nicht hinauskommen, Dich zu begrüßen, um Dich mit meinem Anblick nicht zu quälen. Ich werde nichts mehr sagen. Ich habe Angst vor mir selbst, und es peinigt mich selbst, so sehr tust Du mir leid, mein Lieber, Armer, Geliebter, von mir Fortgenommener, aus meinem Herzen Gerissener – mein Mann! Wie schmerzt diese große Wunde! Und am meisten schmerzt, daß ich Dich mit meinem Leiden quäle.
    S.T.
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    In der Nacht des 24. auf den 25. Juli 1910.
    [Jasnaja Poljana]
    Lebe wohl, lieber Ljowotschka! Sei bedankt für mein einstiges Glück. Du hast mich gegen Tschertkow getauscht; heute habt Ihr Euch heimlich über etwas verständigt, und am Abend sagtest Du mir, Du habest beschlossen, Dir Deine Handlungsfreiheit zu wahren und Dich keiner Deiner Handlungen zu schämen. Was bedeutet dies? Welche Freiheit?
    Die Ärzte rieten mir, mich an einen anderen Ort zu begeben, und so fahre ich also fort, und Du bist frei, Deine geheime Verbindungen, a parté 103 auch mit Tschertkow, zu pflegen. Ich kann dies alles nicht mehr ertragen, ich kann es nicht ... Ich bin gepeinigt von Eifersucht, Verdächtigungen und Leid, Du könntest mir auf immer genommen sein. Ich habe versucht, mich mit meinem Unglück abzufinden, Tschertkow zu sehen, doch ich kann es nicht. – Von der eigenen Tochter bespuckt, vom Ehemann zurückgewiesen, verlasse ich mein Heim, solange, wie Tschertkow dort meinen Platz einnimmt, und ich werde nicht zurückkehren, solange er nicht fortgeht. Sollte die Regierung ihm jedoch den weiteren Aufenthalt in Teljatinki gestatten, so werde ich wohl niemals zurückkehren. Es möge Dir wohl ergehen und Du mögest glücklich sein mit Deiner christlichen Liebe zu Tschertkow und der ganzen Menschheit, die aus irgendeinem Grunde Deine unglückliche Ehefrau ausschließt. 104
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    11. September 1910
    Kotschety
    Vor unserem Abschied, lieber Ljowotschka, möchte ich Dir noch ein paar Worte sagen. Doch in den Gesprächen mit mir bist Du oft so unwirsch, daß es mich traurig machen würde, Dich zu betrüben.
    Ich bitte Dich, zu verstehen, daß alle meine, nein nicht Forderungen, wie Du es nennst, sondern Wünsche nur einen einzigen Ursprung haben: meine Liebe zu Dir, meinen Wunsch, so wenig als möglich von Dir getrennt zu sein und meinen Kummer über die Einmengung eines fremden, mir nicht wohlgesinnten Einflusses auf unser langes, zweifellos
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