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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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brauche ich dies? Ich werde ja ohnehin bald aus diesem Leben scheiden. Ich werde von Grauen erfaßt, wenn ich mir ausmale, welche Bosheit sich an Deinem Grab und im Gedächtnis Deiner Kinder und Enkel erheben wird. Bekämpfe sie, Ljowotschka, noch zu Lebzeiten! Erwecke Dein Herz und laß es weich werden, laß Gott darin wohnen und die Liebe, von denen Du so laut den Menschen predigst.
    S.T.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [28. Oktober 1910]
    [Jasnaja Poljana]
    Meine Abreise wird Dich betrüben. Das bedauere ich, aber verstehe mich und glaube mir, daß ich nicht anders handeln konnte. Meine Lage im Haus wird unerträglich, ist es schon geworden. Ich kann nicht länger in diesen Verhältnissen des Luxus leben, in denen ich bisher lebte, und tue nun das, was alte Männer in meinen Jahren für gewöhnlich tun: Sie gehen fort aus dem weltlichen Leben, um in Zurückgezogenheit und Stille ihre letzten Tage zu verbringen.
    Ich bitte Dich, mich zu verstehen und mir nicht nachzureisen, wenn Du den Ort meines Aufenthalts erfährst. Deine Ankunft würde nur Deine und meine Lage verschlechtern, an meinem Entschluß jedoch nichts ändern. Ich danke Dir für Dein getreues, achtundvierzig Jahre langes Leben mit mir, und ich bitte Dich, mir alles zu verzeihen, womit ich mich vor Dir schuldig gemacht habe, ebenso wie auch ich Dir von ganzem Herzen alles vergebe, womit Du Dich vor mir schuldig gemacht haben könntest. Ich rate Dir, Dich in die neue Lage, in die Dich meine Abreise bringt, zu finden und keine unguten Gefühle gegen mich zu hegen. Wenn Du mir etwas mitteilen möchtest, kannst Du es über Sascha tun, sie wird wissen, wo ich bin, und läßt mir zukommen, was nötig ist; sagen, wo ich bin, kann sie Dir jedoch nicht, weil ich ihr das Versprechen abgenommen habe, es niemandem zu sagen.
    28. Okt.
    Lew Tolstoj.
    Meine Sachen und Manuskripte zu packen und zu übersenden habe ich Sascha aufgetragen.
    L.T. 108
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    [29. Oktober 1910]
    [Jasnaja Poljana]
    Ljowotschka, mein Liebster, kehre nach Hause zurück, Lieber, rette mich vor einem neuerlichen Selbstmordversuch 109 . Ljowotschka, Freund meines ganzen Lebens, ich werde alles, alles tun, was Du willst, jeglichem Luxus gänzlich entsagen; ich werde mit Deinen Freunden gut umgehen, ich werde mich ärztlich behandeln lassen, ich werde sanft sein; kehre zurück, mein Lieber, man muß mich doch retten, denn auch im Evangelium heißt es doch, man möge seine Frau unter keinem Vorwand verlassen. Mein Lieber, mein Teurer, mein Herzensfreund rette mich, kehre zurück, kehre zurück, und sei es auch nur, um Dich von mir vor unserer ewigen Trennung zu verabschieden.
    Wo bist Du? Wo? Bist Du gesund? Ljowotschka, quäle mich nicht, mein Liebster, ich will Dir in Liebe mit meinem ganzen Wesen und meiner ganzen Seele dienen, kehre zu mir zurück, kehre im Namen Gottes, der göttlichen Liebe, von der Du allen predigst, zurück, und ich werde Dir eine ebensolche friedvolle, selbstentsagende Liebe schenken! Ich verspreche es aufrichtig und fest, mein Liebster, wir werden unser Leben in Einigkeit schlichter gestalten; wir gehen fort, wohin immer Du möchtest, wir werden leben, wie immer Du möchtest.
    Nun lebe wohl, lebe wohl, vielleicht für immer.
    Deine Sonja.
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    30. Oktober 1910, 4 Uhr des Nachts.
    [Jasnaja Poljana]
    Noch habe ich keinerlei Nachrichten von Dir erhalten, mein lieber Ljowotschka, und mein Herz zerspringt vor Schmerz. Mein Liebster, spürst Du denn nicht den Widerhall meines Leidensin Deinem Herzen? Kann denn wirklich eine einzige dumme Handlung von mir unser ganzes Leben zerstören? Du ließest mir durch Sascha ausrichten, die Tatsache, daß ich in jener Nacht mißtrauisch in Deinen Papieren gewühlt hätte, sei jener Tropfen gewesen, der das Faß zum Überlaufen brachte und Dich bewegte, fortzugehen. In jener Nacht brachte ich meine Briefe nach unten, der Hund lief mir nach, und ich beeilte mich, alle Türen zu schließen, damit er Dich nicht aufwecke; ich weiß nicht, was mich veranlaßte, in Dein Arbeitszimmer zu treten und das Tagebuch zu berühren, wie ich es früher tat und lange Zeit nicht mehr getan habe – um sicherzustellen, ob es an seinem Platz liege.
    [...]
    Ljowotschka, liebster Freund, alles Großartige, das Du geschrieben hast, sowohl das Künstlerische als auch das Philosophische – all dies hast Du im Zusammenleben mit mir
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