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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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sahen nichts, wußten nichts – und es interessierte uns auch nichts«, heißt es in Sofja Tolstajas Kurzer Autobiographie . »Das Leben war so erfüllt und unsagbar glücklich durch unsere gegenseitige Liebe, die Kinder und vor allem die Arbeit an dem so bedeutenden Werk meines Mannes, das ich und später die ganze Welt liebte, daß wir nach nichts anderem strebten.«
    Die Abschrift der Werke ihres Mannes wurde Tolstajas wichtigste und liebste Aufgabe. Als der Schriftsteller 1863 mit der Arbeit an dem Roman Krieg und Frieden begann, übernahm sie voller Tatendrang die Rolle der »Amme des Talents ihres Mannes«, übertrug seine nahezu unleserlichen Manuskripte, die Tolstoj unzählige Male überarbeitete, ins reine, diskutierte mit ihm seine Ideen und gab ihm Ratschläge im Umgang mit Verlegern und den Zensurbehörden.
    Nur selten waren die Eheleute in den ersten beiden Jahrzehnten voneinander getrennt. Wenn Tolstoj in geschäftlichen Angelegenheiten nach Moskau reiste oder sich zur Kur begab, schrieben die Ehepartner sich fast täglich. Jeder Abschied voneinander fiel ihnen schwer, und sie versprachen sich, aufrichtig und wahrhaftig über alles zu schreiben, was sie bewegte. Diesem Versprechen blieben sie bis ans Ende ihrer Ehe treu. Die Briefe sind die »Enzyklopädie des Lebens« der Familie Tolstoj,und sie sind Gespräche über die Werke des Schriftstellers, die seine Frau, oftmals auch in seiner Abwesenheit, ins reine übertrug und die sie seit 1885 als Verlegerin betreute.
    Bei aller Begeisterung für das Werk ihres Mannes jedoch war Tolstaja bereits in der ersten Zeit ihrer Ehe mitunter erschreckt über die Übermacht ihres Mannes, der sie ihre eigene Persönlichkeit ganz unterordnete: »Bisweilen möchte ich mich ganz schrecklich gern von seinem ein wenig belastenden Einfluß befreien, nicht allein ihm zu Diensten sein, doch ich vermag es nicht«, hielt sie bereits im Jahr ihrer Hochzeit im Tagebuch fest. »Es ist schwer, denn ich denke seine Gedanken, blicke auf alles mit seinen Augen, bemühe mich, werde doch nicht wie er, aber verliere mich selbst.« »Sie ist jung, und es gibt vieles an mir, das sie nicht versteht und nicht liebt«, notierte Lew Tolstoj im Januar 1863, »vieles, das sie um meinetwillen in sich unterdrückt, und all diese Opfer wird sie mir dereinst in Rechnung stellen.« Tatsächlich sollte Tolstaja ihrem Mann gegenüber diese Rechnung eines Tages aufmachen. Zunächst aber lebte sie ohne Aufbegehren jenes Leben, das er für die Familie ersonnen hatte.
    Nach sechs Jahren angespannter Arbeit an Krieg und Frieden war Tolstoj erschöpft. Beständig wurde er von finsteren Attakken der Depression und Selbstzweifel übermannt. Die depressive Verstimmung ging mit körperlichem Mißbehagen einher, und der Schriftsteller begab sich auf ärztlichen Rat zur Kumys-Kur in der baschkirischen Steppe. Bereits vor seiner Hochzeit hatte ein Aufenthalt bei den Baschkiren, die dieses Getränk aus vergorener Stutenmilch als Heilmittel bei den unterschiedlichsten Beschwerden anbieten, Tolstojs Lebenskräfte wieder erwachen lassen. »Denke vor allem an Dich, an Deine Gesundheit und Seelenruhe und nicht so viel an uns«, beschwor Tolstaja ihren Ljowotschka. »Ich fühle, daß die Kinder mein Trost sind, Deiner jedoch ist Dein geistiges, inneres Erleben. GebeDich um Gottes Willen nicht den Ängsten hin, der Schwermut, der Selbstquälerei.«
    Ungeachtet dessen, daß sie mit ihren zahlreichen Aufgaben vollauf ausgefüllt war, fehlte ihr der geistige Austausch mit ihrem Mann. »In all dem Lärm ist es hier ohne Dich wie seelenlos«, schrieb sie ihm. »Ich bin daran gewöhnt, mich gemeinsam mit Dir auf jene geistige Höhe zu erheben, die mich erleuchtet und mit dem Preis für das Birkhuhn (d.h. mit dem Haushalt) versöhnt.« Und auch Tolstoj merkte bei dieser ersten langen Trennung, wie sehr er seine Sonja liebte und brauchte »Einen Brief von Dir zu bekommen«, vertraute er ihr an, »ist wie ein kleines Rendezvous: ich empfinde dasselbe Gefühl der Ungeduld, Freude und Angst, wenn ich ihn zur Hand nehme, als ob ich nach Hause komme.«
    Nach Tolstojs Rückkehr kam es zum ersten schwerwiegenden Konflikt zwischen den Eheleuten. Da die Niederkunft mit dem fünften Kind, der Tochter Maria, Tolstaja im Februar 1871 fast das Leben gekostet hätte, fürchtete sie, wieder schwanger zu werden. Der Wunsch, keine Kinder mehr zu bekommen, war jedoch Tolstojs Vorstellung des Familienlebens derart entgegengesetzt, daß er sogar
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