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Eine dunkle & grimmige Geschichte

Eine dunkle & grimmige Geschichte

Titel: Eine dunkle & grimmige Geschichte
Autoren: Adam Gidwitz
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Steinen. »Ihr habt uns nie erzählt, wo ihr wart und was ihr getan habt«, sagte die Königin.
    Hänsel und Gretel sahen einander an.
    »Ihr müsst uns nichts erzählen«, sagte ihr Vater sanft. »Nicht jetzt und niemals, wenn ihr nicht wollt.«
    Hänsel starrte seine Schwester an. Ihre ozeanblauen Augen glänzten in der Sonne und waren fröhlicher und heller als je zuvor. Gretel betrachtete ihren Bruder. Er sah erleichtert aus. Fröhlicher und auch älter. Nicht runzelig alt, sondern weise.
    »Jetzt können wir es euch erzählen«, sagte Gretel und nickte Hänsel zu.
    Und so taten sie es. Hänsel begann mit dem, was Johannes ihm auf seinem Totenbett über den alten König erzählt hatte, und Gretel wollte gerade weitersprechen, als jemand an der Tür des Zimmers klopfte.
    »Ja?«, sagte der König.
    Ein Diener steckte seinen Kopf herein. »Entschuldigung, Eure Majestät«, sagte er. Dann sah er das Blut. »Eure Majestät! Geht es Euch gut?«
    »Mir geht es gut«, sagte der König. »Was gibt es?«
    »Ich ... ähm ...« Der Diener – sein Name war übrigens Wilhelm – schüttelte den Kopf und versuchte, nicht auf das Blut zu achten. »Das Volk«, fuhr er fort. »Es steht vor dem Schloss.«
    »Was? Was meinst du mit ›das Volk‹?«
    »Eure Untertanen.«
    »Welche Untertanen?«, verlangte die Königin zu wissen.
    »Alle, Ihre Majestäten.«
    Der König und die Königin sprangen auf. »Aber warum?«, fragte die Königin.
    »Ich ... ich weiß es nicht genau«, sagte der Diener. »Ich glaube, es hat etwas mit dem goldenen Rauch zu tun.«
    »Was für ein Rauch?«, fragte die Königin.
    »Der Drache«, flüsterte Gretel.
    »Was?«, fragte der König. Hänsel warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu.
    »Oh«, sagte er. »Natürlich.« Er drehte sich zu seiner Frau. »Sollen wir hinuntergehen?« Er sah besorgt aus.
    Die Königin betrachtete ihre Kinder.
    »Es ist in Ordnung«, sagte Hänsel und Gretel nickte.
    Aber die Königin sagte: »Nein. Lass sie warten.«
    »Aber Ihre Majestät!«, sagte der Diener. »Sie rufen nach Euch!«
    »Lass sie rufen«, antwortete die Königin.
    Und der König fügte hinzu: »Versuche, sie bei Laune zu halten.«
    Der Diener wollte gerade widersprechen, aber als er den Ausdruck auf den Gesichtern des Königs und der Königin sah, fügte er sich. Er schloss die Tür. Hänsel und Gretel lächelten ihre Eltern an und Hänsel fuhr mit seiner Geschichte fort.
    Im Vorzimmer umringten die anderen Diener Wilhelm.
    »Was sollen wir tun?«, fragte einer.
    »Wir sollen sie bei Laune halten«, sagte Wilhelm. »Irgendwie.«
    »Was erzählen die da drinnen?«, fragte ein anderer. »Ich glaube, ich höre die Stimmen der Kinder.«
    So lehnten die Diener ihre Köpfe gegen die Tür. Hänsel erzählte von dem Porträt der Goldenen Prinzessin.
    »Schnell!«, rief Wilhelm. »Geht und holt alle. Jeden Diener im Haus.« Also lief einer los, während die anderen weiter an der Tür horchten.
    Als alle Diener versammelt waren, sagte Wilhelm: »Jakob und ich lauschen an der Tür und erzählen alles, was wir hören, dem nächsten Diener weiter. Der erzählt es wieder dem nächsten Diener und der erzählt es wieder weiter, bis am Ende der Schlange am Balkon der königliche Ausrufer steht. Und der wird alles den Untertanen verkünden.« Er drehte sich zu den Küchenangestellten. »Geht und macht Essen für alle.«
    »Für alle?!«, rief der Chefkoch.
    »Alle!«
    Und so geschah es. Hänsel und Gretel erzählten die ganze Geschichte, angefangen vom sterbenden König bis zu der Enthauptung ihres Vaters. Und alle Diener erzählten die Geschichte weiter, so gut sie konnten. Sie trugen sie durch die königlichen Gemächer bis zum königlichen Ausrufer, der alles den Untertanen des Landes Grimm verkündete.
    Die Geschichte dauerte den ganzen Tag bis zum frühen Abend. Und dann, als die Sterne langsam am Himmel erschienen, bevor der gruselige Mond sich zeigte, kamen Hänsel und Gretel zu einem Ende. Die Familie umarmte sich noch einmal ganz fest und dann standen alle auf. Sie streckten ihre Arme und Beine und gingen zur Tür. Die Diener waren an die Wand zurückgetreten.
    Als der König aus dem Schlafzimmer kam, fragte er sie überrascht, was sie alle dort täten. Wilhelm sagte, dass er bereitstünde, um ihn zum großen Balkon zu geleiten, wo seine Untertanen warteten. Sie hätten alle zu essen bekommen.
    »Du hast ihnen zu essen gegeben?«, sagte die Königin. »Das war sehr schlau von dir.«
    Wilhelm verneigte sich.
    »Was
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