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Eine dunkle & grimmige Geschichte

Eine dunkle & grimmige Geschichte

Titel: Eine dunkle & grimmige Geschichte
Autoren: Adam Gidwitz
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Gesicht. Gretel stand auf, schluckte und begann wieder zu laufen.
    Sie sah einen anderen Körper halb in einem Busch liegen. Sie rannte zu ihm und zog ihn aus dem Gestrüpp heraus. Es war eine Frau. Ihre Brust war ausgehöhlt und ihr Nacken war in einem unnatürlichen Winkel verdreht. Gretel drehte sich um und rannte weiter.
    Leichen, immer mehr Leichen. Gretel hatte nicht gemerkt, dass so viele gestorben waren. Dutzende Körper lagen reglos auf dem Waldboden verteilt.
    Aber wo war Hänsel? Wo war Hänsel? War er genauso leblos wie diese Körper im Unterholz? War er genauso still? Wo war er?
    Dann begann der Waldboden zu leuchten. Weiße Kieselsteine. Die weißen Kieselsteine leuchteten ihr den Weg. Sie folgte ihnen. Sie führten sie zu der Lichtung.
    In der Mitte der Lichtung stand Hänsel. Er war über und über mit Blut bedeckt. Sie rannte zu ihm und nahm ihn in die Arme.
    »Ich bin in Ordnung«, sagte er mit heiserer Stimme. »Das ist nicht mein Blut. Ich habe den Verwundeten geholfen.« Sie nickte und hielt ihn fest in den Armen.
    Die beiden folgten den weißen Kieseln aus dem Wald hinaus.
    Als sie so liefen, beschien der unheimliche Mond den Waldboden und die reglosen Körper zwischen den Bäumen. Einige Gesichter waren mit Blut bedeckt und hatten weit aufgerissene, tote Augen, andere waren bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert. In einer Astgabel hing eine Hand. Eine junge Frau, nicht einmal zwanzig Jahre alt, lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Waldboden. Ihr Haar umgab ihren blutigen Kopf wie ein Heiligenschein.
    Die Kinder schlossen die Augen.
    Verlorene Leben.
    Leere Hüllen.
    Hänsel und Gretel hielten sich in den Armen, als sie durch die totenstille, schreckliche Nacht liefen.

Okay.
    Holt tief Luft.
    Jetzt kommt die allerletzte Geschichte.
    Es geht los.



E s waren einmal zwei Kinder, ein Junge namens Hänsel und ein Mädchen namens Gretel, die folgten einem Weg aus weißen Kieseln hinaus aus einem schwarzen, blutigen Wald in eine kleine Stadt. In dem Wirtshaus der Stadt brannte Licht und die Kinder konnten drinnen Stimmen hören. Sie gingen zur Tür und öffneten sie. Sie wurden mit großem Getöse begrüßt.
    »Sie leben!«, rief einer, und im Nu sie waren sie von Menschen umringt, die ihnen auf den Rücken klopften, ihr Haar streichelten und sie umarmten.
    »Ihr habt es geschafft!«, riefen sie. »Ihr habt den Kampf überlebt!«
    »Und ihr habt uns gerettet!« Es war der Mann, der sich vor dem Drachen hinter dem Baum versteckt hatte. Die Frau stand neben ihm. Sie lächelte die beiden an.
    »Zumindest die meisten von uns«, sagte einer. Der Applaus flaute ab.
    »Und der Drache?«, fragte ein anderer. Nun wurden alle still.
    Hänsel und Gretel sahen in die Gesichter. Die Mienen der Menschen waren gespannt und hoffnungsvoll.
    »Er lebt noch«, sagte Gretel und schüttelte den Kopf. »Der Drache lebt.«
    Ein tiefes Seufzen ging durch den Raum.
    »Es tut uns leid«, sagte Hänsel. »Wir haben es versucht.«
    »Dann ist es ja gut!« Ein junger Mann lag in der Ecke des Raumes. Er hatte einen langen Schnitt quer über sein ganzes Gesicht, der mit einer Heilsalbe beschmiert war. »Die Kinder haben es versucht! Das macht alles besser!«
    Hänsel und Gretel starrten auf den jungen Mann und seine groteske Narbe.
    »Sie hatten eine nette kleine Idee«, sagte er, »und sie haben es versucht! Gut für euch beide!« Sein Tonfall veränderte sich plötzlich. »Wisst ihr, dass ich da draußen beinahe gestorben bin? Wir alle sind beinahe gestorben!«
    »Aber wir leben«, sagte ein großer Mann mit einem Bart.
    »Wir schon. Aber wie viele sind gestorben? Wie viele Tote gibt es?«
    Es herrschte Stille. Vor ihrem inneren Auge sahen Hänsel und Gretel die Leichen zwischen den Bäumen liegen. Gretel dachte an die Frau, deren Haar einem Heiligenschein glich.
    »Das sind Kinder!«, rief der narbige Mann. »Kinder! Wir sind Kindern in den Kampf gegen einen Drachen gefolgt. Was haben wir uns dabei gedacht? Was haben wir uns nur dabei gedacht?« Er ließ den Kopf in seine Arme sinken.
    Eine Frau legte ihm eine Hand auf die Schulter und starrte Hänsel und Gretel an.
    Hänsel sah auf den Boden. Gretels Gesicht fühlte sich heiß an.
    Der Mann mit dem Bart ging auf die beiden zu. »Hört nicht auf sie«, sagte er. »Ihr habt es richtig gemacht. Die meisten von uns haben überlebt. Niemand zuvor hat je einen Kampf gegen den Drachen überlebt.«
    »Und was ist das ?«, fragte eine Frau und zeigte auf Gretel. Gretel sah an sich
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