Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine dunkle & grimmige Geschichte

Eine dunkle & grimmige Geschichte

Titel: Eine dunkle & grimmige Geschichte
Autoren: Adam Gidwitz
Vom Netzwerk:
Verband begann sich zu lösen. Immer noch trat sie darauf ein.
    »Gretel!«, rief Hänsel. »Hör auf! Du tust ihm weh!«
    Aber Gretel ließ sich zu Boden fallen. »Ihm fehlen zwei Zehen!«, schrie sie. »Ihm fehlen zwei Zehen!«
    Ihr Vater sah sie an. Seine Augen waren nicht mehr die seinen. Sie waren golden, ohne Weiß und ohne Pupillen.
    »Hänsel!«, schrie Gretel.
    Hänsel hatte es gesehen. Er suchte nach einer Waffe. An der Wand hing ein Schwert. Er riss es herunter und schritt auf seinen Vater zu. Sein Vater starrte ihn mit goldenen Augen an.
    »Es tut mir leid, Vater«, flüsterte Hänsel.
    »Du kannst nichts dafür«, sagte Gretel.
    Dann sauste Hänsels Schwert durch die Luft auf den Nacken seines Vaters. Und in diesem Moment erinnerten sich Hänsel und Gretel, wie es sich angefühlt hatte, als sie es gewesen waren, die geköpft wurden. Im nächsten Moment trennte das Schwert den Kopf ihres Vaters vom Nacken und er rollte über den Boden und in die Ecke des Zimmers. Der kopflose Körper des Königs fiel auf Gretel.
    Und plötzlich war alles ganz still.
    Gretel wiegte den Körper ihres Vaters in den Armen. Die Spitze von Hänsels blutigem Schwert berührte den Steinboden. Das Licht im Zimmer war hell wie der Morgen. Kein einziger Vogel sang.
    Dann wuchsen aus der Stelle, an der der Kopf ihres Vaters gewesen war, zwei winzige Krallen. Dann kamen zwei kleine schwarze Beine, goldene Augen und der Kopf eines winzigen, wurmartigen Drachen zum Vorschein. Sein langer, dünner, schwarzer, blutiger Körper glitt aus dem Halsdes Königs, krabbelte seine Schultern hinab und, bevor sie sich bewegen konnte, auf Gretels Schoß und dann auf den Fußboden. Das Wesen strampelte verzweifelt zu dem Abwassergitter in des Königs Schlafzimmer hin und seine Krallen kratzten auf den steinernen Fliesen.
    Gretel schrie auf und Hänsel stürzte sich auf das Untier und schlug mit seinem Schwert auf den knochigen Körper ein. Ein starker Schlag zertrümmerte seinen Rücken, der nächste enthauptete ihn. Aber Hänsel hörte nicht auf. Er hob sein Schwert immer und immer wieder, bis die böse kleine Kreatur nur noch ein unförmiger Haufen schwarzer Masse war.
    Hänsel nahm atemlos die Kehrichtschaufel vom Kamin, fegte die Überreste auf und warf sie ins Feuer. Die Flammen loderten auf, und ein langer, hoher, schrecklicher Schrei durchdrang die Luft – genau wie der Schrei, den Hänsel und Gretel im Wald gehört hatten.
    Einen kurzen Moment später war alles wieder still und goldener Rauch flog langsam vom Feuer des Kamins hinaus in die Morgenluft.
    Der Drache war tot.
    Hänsel sah Gretel an. Sie saß über dem leblosen Körper ihres Vaters gebeugt und Tränen liefen ihre Wangen hinab. Hänsel setzte sich an ihre Seite und umarmte sie. Und Hänsel und Gretel, Bruder und Schwester, saßen auf dem Boden des Schlafzimmers ihrer Eltern und dachten an all die Dinge, die ihnen widerfahren waren. Und sie weinten bitterlich.
    E nde

Beinahe.

»Schnell«, flüsterte Gretel durch ihre Tränen hindurch.
    »Bring mir seinen Kopf.«
    Hänsel sah in die Ecke, in die der Kopf des Königs gerollt war. Er ging zu ihm, und vorsichtig, ohne hinzusehen, hob er ihn hoch. Dann brachte er ihn seiner Schwester.
    Gretel hatte die Schnur des Hexers aus ihrer Tasche genommen. Es war nur ein dünnes Fädchen, kaum dicker als ein Haar.
    »Halte seinen Kopf fest«, sagte sie.
    Also hielt Hänsel den Kopf an den Hals. Gretel wickelte den Faden darum und verknotete ihn vorsichtig. Als sie ihn wieder löste, riss der Faden und fiel zu Boden.
    Sie sahen zu, wie die Haut am Hals ihres Vaters wieder zusammenwuchs. Aber er bewegte sich nicht.
    Gretel schluchzte laut auf. Auch Hänsel begann zu weinen.
    »Wir vergeben dir«, sagte Gretel.
    »Das tun wir«, stimmte Hänsel zu und ihre Tränen fielen auf den König.
    Da bewegte er sich. Gretel war so überrascht, dass sie den Körper fast von sich wegschubste. Der König stöhnte.
    »Vater? Vater!«, rief Gretel. Er stöhnte noch einmal und öffnete langsam die Augen.
    »Hallo«, sagte er.
    Hänsel und Gretel umarmten ihn. »Oh Vater, dir geht es gut! Dir geht es gut!«
    Gretel sagte: »Wir wünschten, wir hätten das nicht tun müssen.«
    Und Hänsel sagte: »Aber wir mussten es tun.«
    Der König umarmte sie beide. »Ich verstehe«, sagte er. Und er sah sie an, als hätte er nach langer Zeit in der Dunkelheit in die Sonne geblickt. »Ich verstehe euch, Kinder.«
    Genau in diesem Moment hörten sie Schritte im Saal. Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher