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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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unscheinbaren Neubau, der sich unter die Baumschatten duckt. Nur die stacheldrahtbewehrte Mauer um das Grundstück und das von einem bewaffneten Wächter gesicherte Eingangstor lassen darauf schließen, dass es sich hierbei um ein Regierungsgebäude handelt. Ich musste einige Zeit warten, bis der Wächter über Funk den Befehl erhielt, mich einzulassen.
    Auf meinem Weg über den blanken Betonboden des Vorhofs dachte ich darüber nach, was mir mein alter Gönner wohl zu sagen haben würde. Nur einmal hatte er mich bisher in seinem neuen Büro empfangen, es musste also etwas geschehen sein.
    Nidal empfing mich wie einen Freund, zog mich gleich in den Raum, wo ich nun auch dem Doktor gegenüberstand. Süffisant lächelnd legte er den Kopf schräg, ließ die Überraschung wirken und gab mir dann die Hand.
    »Der Doktor hat nach dir gefragt, noch bevor er hierherkam«, sagte Nidal fröhlich. »Lange beschreiben musste er dich ja nicht.«
    »Trotzdem hat er großes Glück gehabt, mich zu finden«, sagte ich nachdenklich.
    »Das scheint nur so«, sagte Stein ebenso vergnügt wie Nidal. »Ein wenig Suche war schon nötig. Aber dafür gibt es ja unsere Organisationen.«
    Ich bemühte mich nicht, die Andeutungen der beiden zu verstehen, sagte mir, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sie mir eröffnen würden, warum ich hier war. Das große leere Büro ähnelte einem Konferenzraum. An einer Wand hing eine beeindruckende, farbige Landkarte, an einer anderen das aufwändig gerahmte Bild unseres neuen, noch jungen Königs.
    So sind diese neuen Häuser, die überall in der Stadt aus dem Boden wachsen. Man könnte meinen, sie seien ausschließlich für die Arbeit bestimmt, doch immer sind sie auch auf eine eigenartige Weise leer. Vielleicht gibt es hinter großen Empfangstischen eine einsame Sekretärin oder einen Hausmeister und hinten in den Gängen ein paar eilige Bürogehilfen. Aber stets fällt das Licht auf baumlose Höfe und durch große Fenster in die Stille dieser nüchternen Räume, wirft leuchtende Flächen auf weiße Wände, als wollte es die Leere schmücken.
    Außer dem riesigen Schreibtisch, um den einige Holzstühle gruppiert waren, gab es noch eine bequemere Sitzgruppe mit Teetisch und gepolsterten Sesseln. Hier nahmen wir Platz, blickten einander wortlos an und warteten darauf, dass jemand den Anfang machte.
    »Es war nicht nett von dir, in das Haus des Doktors einzubrechen. Wolltest du ausprobieren, ob du es noch kannst?«
    Nidal, der inzwischen graue Schläfen und unter den Augen Wülste bekommen hatte, schob sich auf vertraute Weise die Hand ins offene Hemd und grinste mich an.
    »Er war verschwunden«, erwiderte ich, »ich wollte nur nach ihm sehen.«
    »Der Auftrag lautete, für ihn da zu sein und ihn zu beobachten. Mehr nicht. Wenn du jemanden in der Stadtverwaltung kennst, der etwas anderes wollte, dann sag mir seinen Namen.«
    Nidal hätte diese Art von Gespräch noch lange weiterführen können. Nach wie vor genoss er es, andere zu maßregeln. Mich beschäftigte währenddessen, dass ich in einem Raum saß mit jenen beiden Menschen, die mir zu verschiedenen Zeiten das Leben gerettet hatten.
    Der Doktor verstand uns nicht, daher musste Nidal seine Lektion abbrechen. Er erhob sich, ging zum Schreibtisch hinüber und griff zum Telefon. Wenig später betrat eine junge Frau den Raum. Sie war modern, beinahe westlich gekleidet; helle, hochgeschlossene Bluse, knielanger Rock und spitze schwarze Schuhe. Sosehr ich mich auch bemühte, es gelang mir kaum, den Blick von ihr zu wenden.
    »Das ist Nura, unsere schöne Dolmetscherin », sagte Nidal feierlich, trug einen der Holzstühle heran und ließ die Frau sich setzen.
    Zweifellos, dachte ich, ist es ein großer Vorzug des wirklichen Lebens, dass man dort Wesen wie dieser Frau begegnen kann. Sie schlug die Beine übereinander, platzierte ihren kleinen Papierblock auf dem Oberschenkel und schaute mit zusammengepressten Lippen tapfer durch uns alle hindurch. Ihr Haar hatte sie zu einem dicken, glänzenden Knoten gebunden, ihre Stirn über den großen Augen war glatt wie poliertes Holz.
    »Dein altes Laster, hab ich recht?«, sagte Dr. Stein lächelnd und änderte dann den Tonfall:
    »Ich habe dich so lange ignoriert – und das ist mir schwergefallen, glaub es mir –, weil ich in einer speziellen Angelegenheit hierhergekommen bin.«
    Nura übersetzte eifrig und Nidal nickte wohlgefällig. Ich blickte den Doktor fragend an und musste an das Foto denken, das er
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