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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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blickt sich Ezra zu ihnen um, dann wendet er sich mit einem Nicken an mich und sagt:
    »Was ist? Gibt es Schwierigkeiten?«
    Jetzt sehe ich ihn deutlich vor mir, seine ungebändigten Haare und den wie eh und je arroganten Blick, mit dem er Fremde schon immer belegt hatte. Er ist etwas dicker geworden, seine Wangen sind unrasiert. Der größte Unterschied zu früher liegt allerdings in seiner Kleidung: Fast wie ein Arbeiter sieht er aus, das alte Sakko bedeckt ein grobes dunkles Hemd und seine Hosen sind ausgebeult und abgetragen. Was nur tut er dort in seinem Land, frage ich mich.
    Noch immer mustert er mich und wartet. Viel Zeit bleibt mir für die Erfüllung meiner Aufgabe nicht.
    »Ich habe eine Frage«, sage ich endlich.
    Ephraim ist zu uns gekommen.
    »Alle sind drin, wir müssen los«, sagt er mit einem verwirrten Seitenblick zu mir.
    »Frag schon«, sagt Ezra laut und hebt das Kinn; alles an ihm lässt erkennen, wie wenig er mit mir und mit diesem Ort zu tun haben will.
    Der Motorenlärm zwingt uns, laut zu sprechen, das erleichtert mir die Sache nicht. Noch einmal überdenke ich rasch, was Nidal und der Doktor mir zu sagen aufgetragen hatten. Doch schließlich kann ich nicht anders und frage:
    »Wie geht es Mirjam?«
    Beide schrecken zusammen. Ephraim fängt sich als Erster wieder und legt Ezra die Hand auf die Schulter.
    »Wer fragt das?« Feindseligkeit liegt in Ezras Stimme.
    »Anwar«, sage ich und gebe mich gelassen.
    Ezra hebt abwehrend die Hand, tritt nah vor mich und mustert mein Gesicht. Er zieht den Kopf zurück, Ephraim versucht ihn fortzudrängen, doch Ezra macht sich los. Er braucht einige Augenblicke, doch dann drängt er mich kopfschüttelnd zurück.
    »Selbst wenn du es bist, wieso glaubst du, mich das fragen zu dürfen?«
    »Sie hat mir Briefe geschrieben.«
    »Ah, die Briefe«, sagt er mit einem grausamen Lächeln. »Ja, das hat sie. Und rate, wer mühevoll und auf Umwegen dafür gesorgt hat, dass du diese Briefe auch bekommen hast?«
    Immer weiter weiche ich zurück, inzwischen sind wir schon ein gutes Stück vom Flugzeug entfernt. Die Posten in der Halle blicken zu uns herüber. Ezra breitet die Arme aus und legt sich dann die Hände auf die Brust.
    »Warum?«, frage ich.
    »Ich wollte, dass du zurückkommst.«
    »Lass ihn«, sagt Ephraim und rückt sich nervös die Brille zurecht. »Wir verschwinden jetzt.«
    Doch Ezra lässt sich nicht beirren, unverwandt blickt er mich an, als versuche er hinter mein Gesicht schauen.
    »Weil ich dich töten wollte. Ich weiß, was du getan hast, jeder weiß es. Und du bist gekommen. Wärst du damals schon aufgetaucht, du hättest es nicht überlebt. Aber du hast dich verkrochen wie eine Ratte. Bist du stolz auf dich, du Kriegsheld? Sortierst du auch schön deine blutigen Erinnerungen? Wie habe ich gehofft, dass das Geschwätz meiner Schwester dich zu uns zurückführt.«
    Ephraim senkt den Kopf, um mehr von der Abfertigungshalle sehen zu können.
    »Sie kommen gleich herüber«, sagt er beschwörend, »wir müssen jetzt los.«
    »Sag mir nur eins: Hat sie davon gewusst?«
    Ich bleibe stehen und hebe die Hände, weniger, um Ezra abzuwehren, als ihn zu beschwichtigen.
    »Du hast kein Recht, irgendetwas von mir zu verlangen, niemand hat ein Recht dazu. Wir sind jetzt frei. Du kannst nur noch demütig und still an mir vorübergehen. Wir sind jetzt freier als je zuvor, niemand kann mehr etwas von uns fordern.«
    »Erinnere dich, wir waren einmal Freunde …«
    »Er hat kein Recht«, geht Ephraim dazwischen. »Sie alle liegen hinter uns, es gibt keine Vergangenheit mehr und keine Ansprüche.«
    Ich ignoriere ihn. »Wir waren Freunde, Ezra. Das kannst du nicht leugnen. Ich bitte dich, sag mir, ob sie davon wusste.«
    »Du bist ein toter Mann.«
    »Sieh mich nicht, wie ich jetzt bin, sondern wie ich einmal war.«
    Ezra macht eine wegwerfende Geste.
    »Das muss ich nicht, niemanden muss ich sehen, wie er einmal war. Das alles ist mehr als vorbei, es ist nie geschehen.«
    Mit beiden Händen stößt er mich zurück, wendet sich um und hastet in Richtung des Flugzeugs. Ephraim geht rückwärts, so als müsse er Ezra vor mir schützen.
    »Geh weg, verschwinde endlich, du hast nichts mit uns zu tun«, sagt er mit erhobenem Zeigefinger.
    Doch ich folge den beiden bis zur Gangway und sehe sie die Treppe hinaufsteigen. Die Sonne sinkt, der abendliche Lichtschein lässt selbst die Konturen der Maschine weich erscheinen. Am Fuß der Treppe steht das Bodenpersonal
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