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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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streichelte seine Brusthaare. Das Mittagslicht fiel durch die Staubschicht auf den Scheiben in den Raum und Nuras ebenmäßiges Profil rief in mir die Sehnsucht wach, wieder teilzunehmen an den Machenschaften und Umtrieben der wirklichen Welt, mochten sie auch noch so geheim und kompliziert sein. Es lag wahrscheinlich nur am Licht, doch beim Anblick Nidals, der mit dieser schönen Frau auf so herausfordernd entspannte Weise umgehen konnte, erwachte in mir die Erinnerung an eine wilde Freiheit, die ich, auch wenn Angst und Tod immer um mich waren, genossen hatte.
    Zugleich aber wehrte ich mich vergeblich gegen die Erinnerung an das ungeheuer blaue Meer bei meiner Überfahrt an der englischen Seeblockade vorbei nach Alexandria, an meine stürmische Freude, als ich endlich, über und über bedeckt von Desinfektionspuder, das Festland betrat und von der Strandpromenade aus auf die erstaunliche Wassermasse zurückblickte, die ich überquert hatte. Denn das alles war nur das Vorspiel zu der großen Enttäuschung, die mein einstiger Herr, der Großmufti, mir bereitete, als er mich in Kairo nicht empfing, sondern mich von einem mir unbekannten Laufburschen verjagen ließ. Damals lief ich die Gasse entlang und hatte Tränen in den Augen, mehr aus Verbitterung denn aus Trauer. Erst dort wurde ich wieder zu jenem Straßenjungen, der ich ja eigentlich auch war. Und jetzt saß dieser Deutsche vor mir, kratzte sich schon wieder unruhig die Unterarme und knüpfte doch schmunzelnd an jene Ereignisse an, so als wäre all das nur ein Spiel gewesen, das wir nicht zu Ende gebracht hatten.
    Noch einmal sah ich zu Nura, die mir einen kurzen, unsicheren Blick schenkte, und versuchte zu lächeln.
    »Was ist mit meinem Gesicht?«, fragte ich.
    Nidal schlug mit der flachen Hand auf den Tisch:
    »Übertreib es nicht gleich: Wenn du unbedingt willst, gebe ich dir einen Schlapphut und eine Sonnenbrille mit. Aber brauchen wirst du das nicht.«
    Lachend erhob er sich und gab dem Doktor die Hand.

3.
    T agtäglich bin ich zum Flughafen hinausgefahren, so oft, dass mich die Witwe verdächtigt, eine andere Frau zu besuchen. Ich habe ihr nichts erklärt, aber sie spürt, dass mit meiner neuen Aufgabe auch mein Eifer wieder erwacht ist, ein winziger Teil dessen, was sie an mir nie kennengelernt hat.
    Auch heute versetzt mich der Flughafen wieder in kindliches Erstaunen. Ich kann mich frei bewegen, denn ich habe die richtigen Papiere bei mir. Ich kann den behelfsmäßig eingerichteten Emigrations-Schalter passieren und enttäuscht feststellen, dass der Andrang bei Weitem nicht so groß ist, wie ich erwartet hatte.
    Die Juden, die in der Halle ihre Koffer und Taschen öffnen und zusehen müssen, wie sie penibel durchsucht werden, sind Nachzügler der großen Auswanderung während der letzten Jahre. Vielleicht hatten sie die stärksten Wurzeln geschlagen oder waren einfach nur am längsten taub für die zionistische Propaganda, die sie unaufhörlich davon zu überzeugen suchte, dass es in diesem Land keine Zukunft für sie geben könne und sie deshalb nach Israel auswandern müssten.
    Ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht, ob sie damit recht hatten. Irgendwann war in den Zeitungen die Rede von »orientalischen Juden«, demnach gab es sie überall in den arabischen Ländern, und je öfter man von ihnen las, umso mehr begann ich tatsächlich, sie mir als ein Volk vorzustellen, Leute, die, ohne es zu wollen, getarnt unter uns gelebt hatten. Nicht, dass wir anderen sie nicht längst schon gekannt hätten. Aber als die Fremden, die sie wohl auch waren, hatten wir sie doch erst wahrzunehmen gelernt, nachdem ihre Shops auf den Märkten einer nach dem andern schlossen, ihre großen und kleinen Häuser leerstanden und sogar die Raschid-Straße sich veränderte, weil die feinen Läden von früher allmählich verschwanden. Auch die Synagogen wurden plötzlich zu Fremdkörpern, geduckt und isoliert standen sie inmitten des regen Lebens, auch wenn lange noch weißbärtige Rabbis in ihnen herumgeisterten. Schließlich wurden sie nach und nach abgerissen; in den engen Gassen der Altstadt ist der Platz knapp bemessen, und was ist schon eine Synagoge ohne Gläubige.
    Die Zollbeamten wühlen mit verkniffenen Gesichtern in der Wäsche der Familien, die eingeschüchtert und unglücklich aussehen, obwohl sie alle ganz sicher lange auf ihre Visa gewartet und teuer für sie bezahlt haben. Jeder von ihnen hat einen Koffer dabei, und ich versuche sie mir vorzustellen, wie
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