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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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sie unter all ihrem Besitz ausgewählt haben, was in einen solchen Behälter passt. Die Frauen ziehen die Kinder an sich und beruhigen sie, während die Männer versuchen, Würde zu bewahren, obwohl sie zusehen müssen, wie Porzellantassen, gerahmte Fotografien und sogar kleine Radios aussortiert und von dem Beamten in hohem Bogen auf die Steinfliesen der Halle geworfen werden, ohne dass dieser dabei auch nur aufschaut. Eine Demütigung zum Abschied, leidenschaftslos und routiniert.
    Vor zwei Stunden etwa ist Ephraim wiederaufgetaucht. Ich habe ihn inmitten der Leute an ebenjener Unsicherheit erkannt, mit der er sich schon am Bahnhof bewegt hatte. Ein Fremder ist er, habe ich gedacht, jemand, der nicht zurückkehren kann, selbst wenn er es versuchen würde. Er ist die Reihen der Wartenden abgeschritten, hat mit den Männern dann und wann ein paar Worte gewechselt und schließlich die Halle zum Flugplatz hin verlassen. Es ist offensichtlich, dass er die Abreise dieser Leute zumindest beaufsichtigt, wahrscheinlich sogar organisiert hat.
    Allmählich leert sich die Halle, die bewaffneten Posten haben sich in den Ecken Zigaretten angezündet, lachen und geben den letzten Passagieren alberne Ratschläge mit auf den Weg. Ich verlasse meinen Beobachtungspunkt neben dem Holzwagen eines Wasserhändlers, dränge mich an einer der Schlangen vorbei, zeige meinen Ausweis vor und passiere den Schalter. Die Posten mustern mich skeptisch, doch ich hebe nur die Hand und gehe durch die schwere Tür hinaus und im Freien unter einen schmucklosen Säulengang.
    Ich atme den Kerosingeruch tief ein, die Propeller der im späten Licht silbrig aufglänzenden El-Al-Maschine beginnen schon zu rotieren. Fast hätte ich zu lange gewartet, aber die Gangway steht noch immer bereit und die Tür oben ist offen. Kein Mensch ist zu sehen, als ich zum Flugzeug hinübergehe. Ich blicke mich um, schaue sogar unter dem Bauch der gewaltigen Maschine nach Ephraim aus, denn er ist es, dem ich meine Nachricht überbringen will. Ich habe ihn lange genug beobachtet, um zu wissen, dass, wenn jemand, er der richtige Mann ist.
    Plötzlich taucht er in der Flugzeugtür auf, sieht mich und steigt rasch die Zugangstreppe herab.
    »Was ist?«, sagt er laut und unwillig, fingert in der Innentasche seines Mantels und zieht Papiere heraus. »Es ist alles in Ordnung, wir warten noch.«
    Selbstbewusst baut er sich vor mir auf und doch wirkt es, als hätte er das für den Fall von Komplikationen eingeübt. Gerade hebe ich zu sprechen an, da erscheint ein zweiter Mann in der Flugzeugtür und blickt aufmerksam zu uns. Unwillkürlich weiche ich einen Meter zurück und versichere mir selbst vergeblich, dass er es unmöglich sein kann. Beinahe verschwindet er in den Abgasschwaden der Triebwerke, hält sich die Hand vor Mund und Nase und kommt herunter.
    Ich sehe nur seine Augen und erkenne ihn doch, und während er auf mich zukommt, bewege ich mich Schritt um Schritt zurück, will Abstand schaffen zwischen mir und diesem Mann aus der Vergangenheit, der nun eine schmerzhaft fühlbare Verbindung herstellt zu dem, was durch einen Abgrund von mir getrennt schien. Plötzlich sind nur ein paar Jahre vergangen, banale, gelebte Zeit, und selbst das Grauen, dessen Zeuge und Urheber ich gewesen bin, fährt zurück in die Lampe, aus der es entwichen war – in mich. Ich fühle mich nicht schuldig für das, was ich getan habe, doch je länger ich Ezra vor mir sehe, desto klarer wird mir, dass wirklich ich es bin, der verantwortlich ist, ein kleiner Mensch unter anderen, die im Gegensatz zu mir keine Abenteuer bestehen wollten, sondern ein normales Leben geführt haben. Die jetzt vielleicht wie Ezra etwas älter aussehen, aber nicht verunstaltet sind wie ich.
    Der Davidstern auf der Heckflosse des Flugzeugs steht über Ezra, in diesem Land wirkt er inzwischen längst bedrohlich. Unser Abenteuer am Bahndamm kommt mir in den Sinn, die stampfende Eisenbahn, die damals so viel zu versprechen schien, auf die wir aufgesprungen sind und die uns dennoch eigentlich niemals mitgenommen hat. Heute sind es Flugzeuge, Maschinen, die mit ihrer Kraft den Sand über den Platz fegen, als würden sie alles hinter sich zurücklassen wollen.
    Die letzten Passagiere schieben ihre Kinder vor sich her, laufen geduckt zur Gangway, Hände und Kopftücher bedecken zum Schutz vor dem Sand die Gesichter. Ihre wenigen Koffer sind nun leicht, und die einzige Verbindung zu ihrem neuen Leben ist dieses Flugzeug. Ungeduldig
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