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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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für mich platziert hatte. Stein lehnte sich zurück, öffnete seine Manschettenknöpfe und krempelte sich die Hemdsärmel hoch.
    »Wie ich gehört habe, bist du nicht sehr gut informiert über das, was in der Welt vor sich geht. Nun, der Krieg mag zu Ende gegangen sein, die Politik ist es ganz sicher nicht. Ich bin also hier, um dir mitzuteilen, dass es in Pullach, in der Nähe meiner schönen Heimatstadt München, wieder eine Stelle gibt, in der man sich mit den Angelegenheiten dieser Region beschäftigt, eingehend beschäftigt.«
    Unwillkürlich zuckte ich zurück und seufzte:
    »Nein, keine weißen Länder mehr … «
    Da mich niemand verstand, musste ich die Sache erklären, ich fasste mich kurz und schaute zum Fenster hinaus. Stein war ratlos, da erhob sich Nidal und ging hinüber zu der großen Landkarte an der Wand.
    »Komm her, Junge, komm her zu mir«, sagte er und winkte mich heran.
    Als ich neben ihm stand, legte er mir die Hand auf den Rücken und schob mich so dicht an die Karte, dass meine Nase sie fast berührte.
    »Es gibt keine weißen Länder mehr«, sagte er. »Was geblieben ist und worum wir kämpfen müssen, ist das hier. Siehst du es?«
    Mit dem Zeigefinger wies er auf die haarfeinen Linien der Ländergrenzen, fuhr sie ein Stück entlang und klopfte mir dann auf die Schulter.
    Dr. Stein lächelte zustimmend, als wir uns wieder zu ihm setzten, doch Nidal war noch nicht fertig:
    »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, und was wir von dir wollen, ist eine Kleinigkeit. Du tust es oder du lässt es. Bevor du fragst, wie ich ausgerechnet auf dich gekommen bin: Einmal hat es mit diesem jüdischen Jungen von damals zu tun, den wir schließlich doch laufen ließen.«
    »Ephraim«, sagte ich.
    »Ja, dieser Ephraim, von dem du sagst, er sei wieder in der Stadt aufgetaucht. Der andere Grund ist«, er warf einen kurzen Blick zu Dr. Stein, »ich glaube, du verdankst den Deutschen sehr viel und möchtest dich vielleicht erkenntlich zeigen. Haben sie dir nicht auch das Leben gerettet und dir schließlich sogar den Weg aus Europa zurück in die Heimat geebnet? War es nicht so?«
    Hilflos hob ich die Schultern.
    »Außerdem: Du bist keine fünfunddreißig Jahre alt und benimmst dich wie ein alter Mann, der sich nicht mehr aus dem Haus wagt. Wie lange soll das so weitergehen? Du bist nicht alt, du hast, so Gott will, noch viele Jahre vor dir. Willst du sie allein in deinem Haus verbringen?«
    Ich verneinte und hatte doch das Gefühl, von der Vergangenheit nun nicht mehr verfolgt, sondern in diesem Augenblick eingeholt zu werden.
    »Hat es mit dem Großmufti zu tun?«
    Jetzt mischte sich der Doktor ein, lehnte sich vor und hob eine Hand wie um mich zu bremsen.
    »Nein«, sagte er entschieden. »Er hat keine Bedeutung mehr. Andere Zeiten, andere Köpfe.«
    Ich war verwundert, denn der Doktor sprach über meinen einstigen Herren, als würde er ihn kennen. Und mir ging Nidals Appell an meine Dankbarkeit nicht aus dem Kopf. Tatsächlich verdankte ich den Deutschen viel; Dr. Stein hatte mir das Leben gerettet und ohne Mr. Otto wäre meine Rückkehr unmöglich gewesen. Wenn ich zurückdachte, war ich einer Reihe von Männern begegnet, die in all dem Wirrwarr Fürsorge und eine beinahe unheimliche Treue bewiesen, als hätten sie in den Teilnehmern des großen Kampfes einen Schatz zu retten, eine Art Reserve für die Kämpfe in der ungewissen Zukunft Europas.
    »Allerdings ist es ganz so einfach nun doch nicht«, fuhr Dr. Stein fort. »Die Vergangenheit wirft ihre Schatten. Ich will es einmal so formulieren: Unser Mann in Damaskus hat in jenen Jahren an vorderster Front gestanden und sich somit unter den Juden viele Feinde gemacht. Er ist also, sagen wir, nicht vorzeigbar, doch ich arbeite inoffiziell für ihn. Wir Deutschen stehen jetzt fest an der Seite der Amerikaner und unser neuer Feind ist der alte, auch wenn Väterchen Stalin inzwischen dahingeschieden ist.«
    »Was er sagen will«, fuhr Nidal ungeduldig dazwischen, »ist, dass die Deutschen Kontakt zu den Israelis aufnehmen wollen. Sie müssen das indirekt tun, verdeckt, verstehst du? Wir haben die Israelis im Land, sie fliegen ihre Leute hier aus Bagdad geradewegs nach Tel Aviv. Du sollst nichts anderes tun, als schauen, ob du jemanden von ihnen kennst, wie etwa diesen Ephraim, und Kontakt herstellen. Du bist unser Bote und überbringst ihnen eine Nachricht. Natürlich bist du nicht der Einzige, nur ein Versuch von vielen. Kein Risiko.«
    Er grinste mich an und
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