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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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heimatlichen Boden setzte. Obwohl ich die Hitze des Feuers noch auf den Wangen, der Stirn fühlte, sprang mir, als ich endlich wieder in meiner Sprache sprechen konnte, etwas an den Hals, ja, genau so fühlte es sich an. Was immer es war, es würgte mich, wenn ich reden wollte. Doch niemand vermisste meine Worte. Es wären nur Worte des Boten Anwar gewesen, die allem, was gewiss erscheint, nichts hinzufügen konnten, keinen Zweifel, keine wichtigen Informationen, nichts.
    Als ich begriff, dass ich in dieser neuen Rolle das Stummsein nicht mehr zu spielen brauchte, sondern mühelos, auch sprechend beibehielt, war ich erleichtert. Noch im Krieg hatte ich geglaubt, ich würde auch deshalb durch die endlose Weite und zerstörten Städte wandern, um jemandem in der Heimat davon berichten zu können. Alles, so dachte ich, sei in mir bereit für diese Begegnung. Dann aber, als es so weit war, sagte ich kaum etwas.
    Es ist, als suche man einen Menschen, dem man sein Herz ausschütten kann, warte in Wahrheit aber auf Gott. Was sind ein paar Worte zu einem Satz verknüpft, was können sie sein in den Ohren eines Fremden. Nein, was ich brauchte, war ein Vertrauter. Es musste jemand sein, der nicht nur die Worte verstand, sondern sie auffing und zum Leben erweckte. Jemand, der ein Summen hörte, aber die Musik vernahm. Nur ein solcher hätte es mir möglich gemacht zu reden, und vielleicht habe ich insgeheim erwartet, ihm doch noch zu begegnen. Und da schien er nun vor mir zu stehen.
    Manchmal kam der Doktor in den Raum und warf mir einen Blick zu, als hätte er vor, mich nun doch einmal mit einem Auftrag zu betrauen, sei sich aber noch nicht sicher. Immer hob ich leicht den Kopf und wartete. Einmal stand das Fenster hinter mir offen. Der heiße Wind wehte Sand und vertrocknete Grashalme herein. Drei Betten standen im Raum, aber sie waren leer und offen, die weißen Vorhänge zurückgeschoben. Der Wind ließ die Vorhänge erzittern wie den Kittel des Arztes und den Handtuchstapel auf dem Metalltisch neben ihm. Der Wind strich sogar über das Fell einer Katze, die plötzlich aus dem Korridor hereingeschlüpft war, nun verharrte und den Kopf zurückzog, als hätte sie sich im Zimmer geirrt. Im Maul trug sie die Reste einer Nachgeburt aus dem Kreisssaal.
    Eine warme Brise ließ mich tief einatmen. Er ist es, dachte ich unvermittelt, kein Wahngebilde könnte mich so täuschen. Er hat schon viele graue Haare und geht schon leicht gebeugt. Sein Gesicht wirkt nicht alt, aber ernst und abweisend. Dennoch ist er es. Und auch er, so glaubte ich plötzlich zu wissen, hat seinen Vertrauten nicht gefunden seit damals. Auch er hat nicht berichtet.
    Der Arzt trat auf mich zu, ging umständlich um den Stuhl, reckte sich ächzend und schloss das Fenster. Ich rührte mich nicht, bis er fertig war. Ich hätte ihm geholfen, wenn ich gewusst hätte, was er wollte. So blickte ich der Katze nach, die mit ihrer Beute aus dem Zimmer floh, und wischte mir den Staub von den Schultern, unschlüssig, was ich tun sollte.
    Am Abend stand ich auf und streckte mich, als wäre mein Werk vollbracht. Gern hätte ich dem Doktor gesagt, dass ich nun gehen müsse, doch wagte ich nicht, nach ihm zu suchen. Stattdessen schlich ich aus dem Raum in den dunklen Korridor, ging an den fleckigen Wänden entlang bis zum gläsernen Windfang und durch die Eingangstüren auf den weiten Hof hinaus. Das Krankenhaus war ein Neubau, doch die Mauern waren bereits dunkel geworden und alles, was sie umschlossen, schien uralt zu sein.
    Niemand hatte mich gehen sehen. Wahrscheinlich war der Doktor sogar erleichtert, als er spät am Abend den leeren Stuhl sah. Ich schob die Hände in die Taschen meines alten Jacketts und ging den Hügel hinab zur Straße, die in die Stadt führte. Ich fragte mich, ob auch ich erleichtert war, fortzukommen von jenem Mann, den ich wiedererkannt hatte. Ich müsste es sein, dachte ich, müsste ihn fliehen wie die Tiere das Feuer. An einem von vertrocknetem Buschwerk durchsetzten Schutthaufen blieb ich stehen.
    Die Nacht war sternenklar. Vor mir verschwand die Straße in einer dunklen Mulde und tauchte erst bei den wenigen noch brennenden Lichtern der Stadt wieder auf, schmal und leer. Er gehört, dachte ich, zu all dem, was ich vergessen wollte.
    Ich ging weiter. Wer weiß, dachte ich, vielleicht gehen ihm ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf. Das jedenfalls weiß ich von ihm: Er würde sich seine Ratlosigkeit unter keinen Umständen anmerken lassen. Das
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