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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte
Autoren: Ralf Isau
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    Die seltsame Verflüchtigung der Worte wird von den Einwohnern Silencias für eine heimtückische Seuche gehalten. Ihr erstes Opfer ist ausgerechnet der alte Geschichtenerzähler Gaspare – mit Sprache, geschrieben oder gesprochen, weiß er plötzlich nichts mehr anzufangen. Keineswegs alle in der Stadt trifft es so hart wie ihn. Manche verlieren lediglich ein paar Worte, andere nur Silben. Aber mit der Sprache verblassen fast unmerklich auch die alten Werte. Das Gespräch, Schlichter so mancher Meinungsverschiedenheit, gilt nur wenigen noch als Tugend. Der Gedankenaustausch erlahmt, Zwietracht und Neid halten Einzug in der Stadt. Und zuletzt scheinen die Einwohner Silencias sogar ihre Menschlichkeit zu verlieren. Ein Mädchen jedoch ist gegen den unheimlichen Sprachschwund gefeit.
    Palas Herkunft umgibt ein Geheimnis. Ihre diesbezügliche Überzeugung entspringt einem unbestimmten Gefühl. Es überkommt sie jedesmal, wenn sie das ihr in die Wiege gelegte Sonett betrachtet. Es ist das erste in einem Reigen von silencianischen Gedichten, die in ihren Anfangs- und Endzeilen genau übereinstimmen. Noch ahnt Pala nichts von dem Zusammenhang zwischen ihrem Geburtsgedicht und den dunklen Mächten, die sich hoch über der Stadt der Dichter und Denker zusammenbrauen. Dort wächst eine Burgruine wie von allein aus Trümmern empor. Der steinreiche Zitto, heißt es, sei nach jahrelanger Abwesenheit in die Zitadelle zurückgekehrt und wolle sich nun um das höchste Amt der Stadt bewerben. Palas Leidenschaft gilt eher Rätseln, Wortspielen und natürlich Gaspares Geschichten. Schon allein um seinetwillen möchte sie dem Sprachschwund auf den Grund gehen. Der Geschichtenerzähler deutet immer wieder zur Zitadelle hinauf, ohne seinen Verdacht in Worte kleiden zu können.
    Zittos Schlossgarten ist von einer Mauer umgeben, die Pala aber nicht übersteigen kann – die Umfriedung wächst unter ihr auf wundersame Weise in schwindelnde Höhe. Erst als sie ein Rätsel löst, das sie einen Schritt näher an das Geheimnis ihrer eigenen Herkunft führt, kann sie Zittos verwunschenes Reich betreten. Doch hier bahnen sich neue Schwierigkeiten an, verbunden mit weiteren Rätseln. Pala kann sich der Festung nicht nähern, weil diese sich bei jedem Schritt weiter von ihr entfernt. Sie stößt auf Hindernisse, die an Träume, aber nicht an die Wirklichkeit denken lassen. Aber das Mädchen gewinnt auch Verbündete in Gestalt sonderbarer Wesen. Es sei eine Wortschöpferin, wird ihm gesagt, und solche besäßen in Zittonien große Macht. Um sich diese zu erschließen, muss Pala jedoch ihr eigenes Lebensrätsel lösen. Allein sie scheint Zitto noch daran hindern zu können, die ganze Stadt im Schweigen versinken zu lassen…

 
     
     
     
    Im Anfang war das Wort,
    und das Wort war bei Gott
    und göttlichen Wesens war das Wort.
    Johannes Kapitel 1, Vers 1
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Für Karin,
    die eine bemerkenswerte Leidensfähigkeit bewiesen hat, während ihr Mann sich auf der Jagd nach Worten befand.
    Danke.

 
     

     
     
     
Erst ganz zum Schluss ist, wer Geduld hat, schlauer,
die Maske heit’ren Überschwangs mag trügen.
Selbst Friedensboten neigen gern zum Lügen,
doch echte Weisheit ist ein Schatz von Dauer.
 
Wenn Ungewohntes macht ihr Lächeln sauer,
selbst Hochbetagte muss man manchmal rügen,
bevor selbst Freunde sich dem Schweigen fügen,
weil Altersstarrsinn fällt wie Hagelschauer.
 
Wenn redliches Gespräch versiegt im Sande,
öffnet das Tor sich unheilvollen Reitern,
die bringen Hunger, Krieg und Pest dem Lande.
 
Versäumt ein Rat zur Zeit sich zu erweitern,
folgt seinem Schweigen fürchterliche Schande –
allein die Furcht lässt manche Absicht scheitern.

Erst ganz zum Schluss ist, wer Geduld hat, schlauer. Diese Weisheit stammt nicht von mir. Ich habe sie vor vielen Jahren in einem geheimnisvollen Gedicht gelesen. Sofort zog es mich in seinen Bann. Obwohl ich den Versen nicht wenig verdanke, bin ich mir sehr wohl ihrer Tücken bewusst. Gerade diese ließen mich bis heute schweigen. So wenig wie man einen schlafenden Drachen weckt, wollte ich dem Gedicht neues Leben einhauchen in dem womöglich stümperhaften Versuch, sein verborgenes Wesen in Worte zu fassen. Inzwischen erscheint mir dieser Gedanke lächerlich, ist es doch so viel stärker als ich. Wenn es sich erneut Gehör verschaffen will, dann wird es das auch tun. Und vielleicht ist es auch besser so.
    Das Klügste wird wohl sein, sich dieses
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