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Aufbruch der Barbaren

Aufbruch der Barbaren

Titel: Aufbruch der Barbaren
Autoren: Hugh Walker
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1.
    Nottrs Schlaf war in diesen Nächten, seit die Große Horde aufgebrochen war, voller Unruhe. Träume quälten den Barbarenführer, die manchmal so wirklich waren, daß er glaubte, wach zu sein. Und die Nächte des Neumonds waren die schlimmsten.
    Aber es gab auch einen Traum, den er herbeisehnte, einen, den er bereits des öfteren gehabt hatte. Das war der Traum, in dem Olinga zu ihm kam, seine Gefährtin, die ihm einen Sohn geboren hatte, bevor die Wölfe sie holten, und die er im Stich lassen mußte, als die Große Horde aufbrach. Denn, so beschworen die Schamanen, der Führer der Großen Horde durfte nur eine Verpflichtung haben: die Horde!
    Vielleicht hätte er sich dennoch für Olinga entschieden, obwohl es das Ende aller seiner Träume eines Krieges gegen die Finsternis gewesen wäre, denn sein Körper und sein Herz sprachen eine andere Sprache als sein Verstand – und wann in der Geschichte der Wildländer hatte je ein Lorvaner seinem Verstand gehorcht? Nur er, der er die Welt mit den Augen des Kometensohns zu betrachten gelernt hatte an der Seite Mythors, er trug den Funken größerer Gedanken in seinem Barbarenverstand.
    Aber er hätte sich dennoch für seine Liebe entschieden, wenn er nur sicher gewesen wäre, daß Olinga noch am Leben war. Mit tausend Kriegern wäre er gegen die Wölfe gezogen, um sie zu befreien, und Skoppr mit ihr.
    Aber das einemal, als sie zurückgekommen war zu ihm von den Wölfen, um das Leben Skopprs, des Schamanen, von ihm zu fordern für ihres, war sie nur ein Trugbild gewesen mit der wahren Gestalt eines Wolfes. Da wußte er, daß es nicht Skoppr oder die Wölfe gewesen waren, die sie ihm geraubt hatten, sondern die Finsternis. Und um sie zu bekämpfen, brauchte er die Große Horde. So hatte er die Qual in seinem Herzen erstickt und seinem Verstand gehorcht, wie die Schamanen es von ihm verlangten.
    Bis vor zehn Tagen dieser Traum zum erstenmal kam.
    Und nun, in dieser Nacht, war er wirklicher denn je zuvor. Er war nicht einmal sicher, ob er schlief oder wach war. Er spürte nicht, daß er die Augen öffnete, oder daß er atmete. Einen Augenblick war es, als hätte er seinen Jungen weinen gehört aus dem Nebenzelt, wo Scrube, die Amme, über ihn wachte. Aber es mochte auch das ferne Heulen eines Wolfes gewesen sein.
    Dann öffnete sich der Zeltvorhang, und er wußte, daß sie kam wie in den Nächten zuvor. Sie brachte den kalten Atem des Nachtfrostes mit, einen Hauch von Eiseskälte, der Funken aus seinem fast erloschenen Zeltfeuer hochstieben ließ. Die Sterne blinkten hinter der vertrauten Silhouette. Dann fiel der Vorhang zu, und Olingas Stimme flüsterte mit einer seltsamen, kalten Innigkeit: »Mein Nottr, laß mich zu dir kommen. Wenn deine Wärme nicht wäre, könnte ich es nicht ertragen.« Und ohne eine Antwort abzuwarten, glitt sie zu ihm unter die Felle seines Lagers, und ihm war, als schmiege ein Klumpen von Eis sich an ihn.
    Aber er wagte sich nicht zu rühren, um diesen magischen Traum nicht zu zerbrechen – selbst wenn es ein Zauber der Finsternis war.
    Wie die Sturmmaiden des Wintergotts Imrirr war sie, ganz Eis und Rauhreif und Schnee.
    »Chipaw«, flüsterte er zitternd vor Kälte und Erleichterung, daß der Traum gekommen war.
    Sie küßte ihn mit aller Leidenschaft schrecklicher Entbehrung, und als die Wärme seines Körpers nach und nach die Oberhand gewann, da war der Geruch von Wolf und Blut im Zelt.
    Aber das kümmerte ihn nicht. Wie immer in seinem Traum nahm er sie in seine Arme und erwiderte ihre Zärtlichkeiten und dachte nicht mehr darüber nach, daß sie nur ein Trugbild der Finsternis war.
    Er sagte »Meine Chipaw« immer wieder in der Dunkelheit des Zeltes und der Heftigkeit des Traumes, manchmal so laut, daß die Lagerwachen zwischen den Zelten es hören konnten. Aber sie kannten den Kosenamen Nottres für seine verlorene Gefährtin und wußten, wie schwer er den Verlust Olingas nahm. So taten sie es mit einem Grinsen oder einem gemurmelten Wort des Bedauerns ab und wandten ihre Aufmerksamkeit wieder der frostig-weißen Öde zu.
    Nach einer Weile, als die Leidenschaft abgeklungen war, bedrängte sie ihn mit der gleichen Bitte wie schon in den vergangenen Nächten.
    »Mein Nottr, gib mir mein Kind!«
    »Nein!« Nottr wälzte sich unruhig zur Seite. Der Traum erfüllte ihn immer mit großer Müdigkeit und weckte die Erinnerungen, die er tagsüber zu vergessen suchte. »Nein, es ist mein Sohn…«
    »Wir gehören zusammen.«
    »Nein. Ich habe
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