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Ein unbezaehmbarer Verfuehrer

Titel: Ein unbezaehmbarer Verfuehrer
Autoren: Elizabeth Hoyt
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beide ihren Morgenspaziergang gemacht, der jedoch mit jedem Tag kürzer ausfiel. Seit einigen Wochen hatte Lady Grey Schwierigkeiten, mit ihrem Herrn Schritt zu halten. Bald würde er ganz ohne das alte Mädchen auskommen müssen.
    Doch darüber würde er sich bei anderer Gelegenheit Gedanken machen. Jetzt faltete Alistair erst einmal den Brief auseinander und las ihn in aller Ruhe. Das Kaminfeuer knisterte behaglich. Es war früh am Morgen, und er vermutete, dass seine unerwarteten Gäste noch schliefen. Trotz ihrer Behauptung, eine Haushälterin zu sein, machte Mrs Halifax auf ihn doch eher den Eindruck einer Dame der Gesellschaft. Vielleicht hatte sie ja eine Wette verloren, hatte sich von einer ihrer aristokratischen Freundinnen herausfordern lassen, sich in die Höhle des unheimlichen Sir Alistair zu wagen. Ein entsetzlicher Gedanke, der ihn beschämte und zugleich wütend machte. Doch dann erinnerte er sich, wie ehrlich erschüttert sie von seinem Anblick gewesen war. Das zumindest war nicht gespielt gewesen. Und dann der Brief von Lady Vale; er konnte sich nicht vorstellen, dass diese bei einem derart frivolen Treiben mitmachen würde.
    Alistair seufzte und warf den Brief auf den Tisch. Kein Wort davon, dass Vales Frau ihm eine Haushälterin zu schicken gedachte. Stattdessen berichtete Vale, was es Neues über den Verrat von Spinner's Falls gab und vom Tod Matthew Horns — eine falsche Spur, die jäh gekappt worden war.
    Gedankenverloren strich er über seine Augenklappe und blickte aus dem Turmfenster. Sechs Jahre war es her, dass das 28. Infanterieregiment bei Spinner's Falls, tief in den Wäldern der amerikanischen Kolonien, in einen Hinterhalt geraten war. Fast das gesamte Regiment war von den Wyandot, indianischen Verbündeten der Franzosen, hingemetzelt worden. Die wenigen Überlebenden — darunter Alistair — hatte man gefangen genommen und in einem langen Marsch durch die Wälder Neuenglands getrieben. Und als sie im Indianerlager angelangt waren ...
    Er ließ die Hand sinken und strich sacht über den Brief, der vor ihm auf dem Tisch lag. Er hatte dem Regiment nicht einmal angehört, hatte es nur als Zivilist begleitet. Sein Auftrag lautete, die Flora und Fauna Neuenglands zu erkunden und zu katalogisieren. Nur drei Monate waren es noch bis zu seiner Rückkehr nach England gewesen, als Alistair das Pech hatte, in das Massaker von Spinner's Falls zu geraten. Nur drei Monate! Wäre er wie ursprünglich geplant mit dem Rest der britischen Armee in Quebec geblieben, wäre er nie nach Spinner's Falls gelangt.
    Bedächtig faltete Alistair den Brief wieder zusammen. Vale und ein weiterer Überlebender, ein Amerikaner namens Samuel Hartley, meinten Beweise zu haben, dass man das Regiment verraten hatte. Ein Verräter aus den eigenen Reihen sollte den Franzosen und ihren indianischen Verbündeten die Marschroute mitgeteilt haben, den genauen Tag, wann sie Spinner's Falls passieren würden. Vale und Hartley waren allem Anschein nach überzeugt davon, den Verräter auffinden, ihn entlarven und seiner gerechten Strafe zuführen zu können. Nachdenklich klopfte Alistair mit dem zusammengefalteten Brief auf den Schreibtisch. Seit Vales Besuch wollte ihn der Gedanke an diesen Verräter nicht mehr loslassen. Dass ein solcher Mann noch frei herumlief — dass er noch lebte, während so viele gute, anständige Männer gestorben waren —, war ihm unerträglich.
    Vor drei Wochen hatte er schließlich etwas unternommen. Wenn es einen Verräter geben sollte, musste er gute Kontakte zu den Franzosen gehabt haben. Was also lag näher, als bei einem Franzosen Erkundigungen einzuholen? Alistair kannte einen Kollegen, der in Frankreich lebte, einen Mann namens Etienne LeFabvre; ihm hatte er vor drei Wochen geschrieben und sich erkundigt, ob ihm irgendwelche Gerüchte über Spinner's Falls zu Ohren gekommen seien. Seitdem wartete er voller Ungeduld auf eine Antwort. Er runzelte die Stirn. Die Beziehungen zu Frankreich lagen wie üblich im Argen, aber gewiss ...
    Er wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als die Tür zum Turmzimmer geöffnet wurde. Mrs Halifax kam mit einem Tablett herein.
    „Was zum Teufel machen Sie hier?", raunzte er sie an, der unerwarteten Störung wegen etwas barscher als beabsichtigt.
    Sie blieb stehen, und ihr hübscher Mund verzog sich in sichtlichem Unmut. „Ich bringe Ihnen Ihr Frühstück, Sir Alistair."
    Nur mit Mühe konnte er sich zurückhalten, sie zu fragen, was sie ihm denn da wohl
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