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Ein unbezaehmbarer Verfuehrer

Titel: Ein unbezaehmbarer Verfuehrer
Autoren: Elizabeth Hoyt
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Kritik zog sie sich für Tage brütend in ihr Schneckenhaus zurück. „Ich weiß, wie dir zumute ist, mein Schatz, aber du musst auch an Sir Alistairs Gefühle denken. Es ist gewiss nicht schön, wenn jemand bei deinem Anblick wie am Spieß schreit."
    „Wahrscheinlich ist er furchtbar böse auf mich", flüsterte Abigail.
    Und da wurde Helen mit einem Mal ganz weh ums Herz. Wie schwer es doch bisweilen sein konnte, Mutter zu sein! Einerseits wollte man seine Kinder schützen, vor der Welt ebenso wie vor ihren eigenen Schwächen, und zugleich musste man ihnen Anstand und gute Manieren beibringen.
    „Das glaube ich nicht", beschwichtigte Helen. „Aber ich finde, du solltest dich bei ihm entschuldigen, meinst du nicht auch?"
    Abigail schwieg, nickte aber kurz und heftig; ihr schmales Gesicht war noch blasser und besorgter als sonst.
    Helen seufzte still und ging weiter in Richtung Küche. Ihrer Erfahrung nach sah die Welt nach einem guten Frühstück gleich viel besser aus.
    Doch es sollte sich zeigen, dass die Vorräte auf Castle Greaves weniger als bescheiden waren. Die Küche war ein riesiges, furchtbar altertümliches Gewölbe. Wände und Decke waren einst weiß gewesen, nun jedoch von schmuddeligem Grau. Eine Wand wurde von einer mannshohen Feuerstelle eingenommen, die dringend ausgekehrt gehörte. Der dicken Staubschicht auf den im Schrank gestapelten Töpfen nach zu urteilen, war es mit der Kochkunst in diesem Haus nicht weit her.
    Missmutig schaute Helen sich um. Auf dem Tisch stand ein schmutziger Teller — der Beweis, dass hier jemand kürzlich gegessen haben musste. Dann gab es doch gewiss auch eine Vorratskammer! Sie begann Türen und Schubladen zu öffnen, und ihre anfängliche Ungläubigkeit steigerte sich langsam zu leiser Panik. Eine Viertelstunde später begutachtete sie ihre Ausbeute: ein fast leerer Sack muffiges Mehl, ein kleiner Rest Haferflocken, Tee, Zucker und eine Handvoll Salz. Außerdem fand sie eine getrocknete Speckschwarte, die einsam und allein in der Speisekammer gehangen hatte. Etwas ratlos stand Helen da. Was für ein Frühstück sollte sie daraus zaubern? Plötzlich wurde ihr das wahre Ausmaß dieser furchtbaren Situation bewusst.
    Es gab keine Köchin!
    Tatsächlich war sie heute früh noch keinem einzigen Dienstboten begegnet. Keiner Scheuermagd und keinem Lakaien, keinem Stiefelputzjungen und keinem Hausmädchen. Niemandem. Hatte Sir Alistair denn gar keine Dienstboten?
    „Mama, ich hab Hunger", maulte Jamie.
    Einen Augenblick starrte sie ihn völlig verständnislos an, noch immer wie vor den Kopf gestoßen von der ungeahnten Größenordnung der Aufgabe, die vor ihr lag. Eine kleine Stimme in ihrem Kopf schrie: Ich schaffe das nicht! Ich schaffe das nicht!
    Aber ihr blieb ja keine andere Wahl. Sie musste es schaffen!
    Sie schluckte, schob ihre Bedenken beiseite und krempelte die Ärmel hoch. „Nun, dann sollten wir uns mal besser an die Arbeit machen, was?"
    Mit einem alten Küchenmesser brach Sir Alistair das Siegel des Briefes, der just heute Morgen eingetroffen war. Sein Name darauf war in einer schwungvoll verschnörkelten, kaum leserlichen Schrift geschrieben, die er sofort erkannt hatte. Vale würde ihn vermutlich wieder versuchen zu überreden, nach London zu kommen oder derlei Unsinn mehr. Der Viscount konnte ein sehr beharrlicher Mann sein, auch wenn seine Bemühungen bei Sir Alistair auf wenig Gegenliebe stießen.
    Er saß im größten der Burgtürme. Vier hohe Fenster ließen an allen Seiten viel Licht herein und machten den Turm zu einem perfekten Arbeitszimmer. Drei große Tische nahmen den meisten Platz ein. Auf ihnen herrschte ein Durcheinander aus aufgeschlagenen Büchern und Landkarten, Tier und Insektenpräparaten, Vergrößerungsgläsern, Farben, Pinseln, Trockenpressen, Gesteinsproben und Mineralien, Baumrinden, Vogelnestern und natürlich seinen Skizzenblättern, die überall herumlagen. Entlang der Wände standen zwischen den Fenstern Glasvitrinen und Regale, die noch mehr Bücher, Karten, Zeitschriftenstapel und wissenschaftliche Abhandlungen bargen.
    Neben der Tür befand sich ein schmaler Kamin, in dem trotz des milden Sommertags ein kleines Feuer brannte. Lady Grey war nicht mehr die Jüngste, und sie lag gern vor dem Feuer und wärmte ihre müden Knochen. Lang auf ihrer Decke ausgestreckt, machte sie ihr Morgennickerchen, während Sir Alistair am größten der Tische, der ihm zugleich als Schreibtisch diente, seiner Arbeit nachging. Zuvor hatten sie
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