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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer
Autoren: Dina Nayeri
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auch in einem Gummibund, und sie schenkt Saba ein paar, die diese Münzen aufmerksamer hütet als sämtliche Geldscheinbündel von ihrem Vater.
    Khanom Basir, die Böse und Rezas Mutter, sagt ebenso oft: »Saba, komm her … allein.« Ihre dünnen Lippen sprechen unliebsame Worte, während die Augen in ihrem mageren, eckigen Gesicht Sabas Körper nach Anzeichen des Frauwerdens absuchen. »Ist in letzter Zeit irgendwas Besonderes passiert … im Hamam oder auf der Toilette?« Jedes Mal, wenn sie das fragt, hasst Saba sie, weil sie nicht weiß, worauf Khanom Basir hinauswill und was sie vielleicht Reza erzählt.
    Die dritte Hexe, Khanom Mansuri, die Uralte, schnarcht einfach nur in irgendeiner Ecke von Sabas Haus und gibt gelegentlich für die beiden anderen Frauen jahrhundertealte Weisheiten über Kinder zum Besten. Verglichen mit Ponneh und Reza, die auf einer schmalen Straße unterhalb der Hafezi-Villa wohnen, wo sich einige kleine Häuser mit selbst genähten Gardinen oder Vorhängen und ein paar einfachen Bequemlichkeiten (kleiner Kühlschrank, Küchentisch, Gasherd) drängen, leben Khanom Omidi, die Gute, und Khanom Mansuri, die Uralte, noch bescheidener. Ihre niedrigen Hütten aus Holz, Stroh und mit gehacktem Reis vermischtem Lehm ducken sich nur eine kurze holprige Autofahrt oder einen flotten Spaziergang hinter dem Wochenbasar auf den Hügeln unter Reisstroh-Walmdächern. In der Abgeschiedenheit im Wald können die Frauen ihre Schuhe draußen vor der Tür stehen und die Hühner frei herumlaufen lassen, deren Eier sie auf dem Markt verkaufen. Vor vielen Jahren hat jede von ihnen mal die Hosenbeine hochgekrempelt und ist gebückt durch Reisfelder gewatet – so haben sie Agha Hafezi kennengelernt, der sie zu Betreuerinnen seiner Töchter machte.
    Saba erscheinen ihre Häuser wie Töpferarbeiten, wie Kunstwerke. Sie fühlt sich wohl und geborgen, wenn sie sich in winzigen Zimmern aufhält, zwischen dicken Vorhängen, die einen muffigen Raum unterteilen, oder in niedrigen, kuscheligen Ecken sitzt, eingehüllt in Decken, die von Kohleöfen und Öllampen gewärmt werden, wenn morgens frischer Tee aus Samowaren fließt und kleine Sprossenfenster sich auf grüne Weiten öffnen und den Duft von nassem Gras hereinlassen. Sie fühlt sich zu der Enklave von Müttern hingezogen, die Kittel tragend in heißen, engen Küchen hocken, Berge aus Hühnerhaut und Knoblauchschalen bauen, brodelnde Töpfe im Auge behalten und Granatapfelsaft in Becher pressen, die Ponneh und Reza hin und her reichen, die Saba aber nicht anrühren darf. Manchmal kriecht Saba aus Trotz gegenüber ihrem Vater in die Bettmatten, sorgsam mit der Hand genähte dicke Decken, die in allen vier Ecken liegen, wo die Familien gemeinsam schlafen. Das Bettzeug riecht nach Haaröl und Henna und Blütenblättern.
    Agha Hafezi will nicht, dass Saba bei ihnen ein und aus geht, daher erlaubt er ihren Ersatzmüttern, sich frei in seinem Haus zu bewegen, seine große westliche Küche zu benutzen und mit Saba in ihrem Zimmer zu spielen, wo das Bett sich über den Boden erhebt und es einen Schreibtisch für ihre Unterlagen gibt.
    Ponneh scheint jetzt über Khanom Omidis geheimes Leben nachzugrübeln. »Eins weiß ich jedenfalls«, erklärt sie. »Omidi hat ein Plastikbein. Ich hab mal gesehen, wie sie es abgenommen und mit Bonbons und Blütenblättern gefüllt hat, damit’s nicht stinkt.«
    »Blödsinn«, sagt Reza. Genau wie Saba hat er die stets summende Khanom Omidi mit ihrem fleischigen Gesicht ins Herz geschlossen. »Die Bonbons hat sie irgendwo in ihrem Tschador.«
    Woher weiß Reza von dem Schatz-Tschador? Khanom Omidi ist doch
Sabas
gute Hexe – die an die Stelle
ihrer
Mutter getreten ist. »Das glaubt keiner mehr«, sagt sie. »Ich hab mir mal ihr Bein angeguckt, als sie geschlafen hat, und es ist bloß voll Fleisch.« Ihre Freunde stoßen ein zustimmendes Lachen aus. »Aber das, was man alles über Khanom Basir erzählt, stimmt! Ich hab gehört, sie ist eine echte Hexe!«
    »Du lügst!«, sagt Reza, allzeit bereit, seine Mutter in Schutz zu nehmen.
    Die Mädchen sehen sich an und prusten los. Dann folgen die altvertrauten Witze über Gläser mit geheimnisvollen Tinkturen und an Dächern aufgehängte getrocknete Affenzehen. Zuerst überhört Reza sie, dann schnappt er sich seinen Rucksack und tut so, als wollte er gehen.
    »Nein, bleib hier!«, sagt Ponneh gespielt kokett. »Du darfst mich auch küssen … auf den Mund.«
    Reza, der noch immer etwas sauer
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