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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer
Autoren: Dina Nayeri
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Dr. Zohreh. Nach der Nacht im Kaspischen Meer hat sie Saba im Krankenhaus besucht.
    Ponneh und Reza stecken die Köpfe zusammen, um sich die schlaffen Seiten anzuschauen – jedes schattenhafte Foto, jede bunte Abbildung, jedes Detail eines mystischen amerikanischen Lebens, das hier nicht mehr willkommen ist. Saba hat ein schlechtes Gewissen, weil es ihr so vorkommt, als wären Träume von einem solchen Leben – Träume von etwas Besserem, Anderem, von amerikanischen Ansprüchen – ein Verrat an ihren Freunden, an Reza, der im Alter von elf schon Nationalist ist und voller Gilaki-Ideale, an Ponneh, die nun ihre neue Mahtab werden muss. Saba übersetzt die englischen Wörter auf dem Titelblatt:
»
LIFE
«
, sagt sie, während sie mit den Fingern über die rot-weißen Blockbuchstaben streift. »Zweiundzwanzigster Januar 1971. Fünfzig Cent.«
    »Wie viel ist das?«, fragt Ponneh.
    »Sehr viel«, sagt sie, obwohl sie sich nicht sicher ist.
    »Wer ist die feine Frau?«, fragt Reza und wagt es, das gelbe Haar auf der brüchigen Seite zu berühren. »Die ist inzwischen bestimmt schon alt und grau.«
    »Hier steht ihr Name«, sagt Saba und gibt sich besondere Mühe, ihn richtig auszusprechen, ehe ihr einfällt, dass Ponneh und Reza das ja gar nicht beurteilen können. »Te-rii-scha Nick-soon.«
    »Komischer Name«, sagt Ponneh. »Klingt, wie wenn sich einer den Bart rasiert –
riisch-tarasch

    »Das ist die Tochter vom amerikanischen Schah«, sagt Saba, weil sie die Illustrierte mittlerweile hundert Mal gelesen hat und das weiß.
    Reza nickt ernst. »Ja, ja, diesen Nickson kenn ich. Großer Mann.«
    Ponneh verdreht die Augen, und Saba schlägt die Zeitschrift in der Mitte auf, wo Bilder aus dem Leben dieser schönen jungen Frau für Millionen abgedruckt sind. Sie ist eine Prinzessin.
Schahzadeh Nixon
. Da ist sie in einem teuren amerikanischen Kleid (vier verschiedene Kleider auf ebenso vielen Seiten!), mit ihrem koketten amerikanischen Lächeln und ihrem strahlenden amerikanischen Verehrer – ein junger Bursche, so blass und hübsch, dass er Filmschauspieler sein könnte, wenn er nicht damit beschäftigt wäre, über seine Schulter Fotografen zuzulächeln und auf die Hände seiner Zauberfee zu starren, als würde er sich ein ganz kleines bisschen langweilen.
    »Haben die ein Glück«, flüstert Ponneh. »Lies das mal«, sagt sie und zeigt auf eine Überschrift.
    »ED COX, A SCION OF OLD MONEY WITH THE INSTINCTS OF A LIBERAL.«
    »Da kommen ein paar schwierige Wörter drin vor, aber Maman hat’s mir mal übersetzt«, sagt Saba. »Das heißt, sein Geld ist alt, und seine Gedanken sind neu. Genau das Gegenteil von dem, wie es sein sollte.«
    Ponneh will sich nicht anmerken lassen, dass sie verwirrt ist, also nimmt Saba die Schultern zurück und sagt gewichtig: »Alte Gedanken sind Gedanken von Philosophen und deshalb besser als die von Revolutionären. Und neues Geld ist Geld, das man sich verdient hat – wie mein Baba.« Sabas Mutter ließ gern unerwähnt, dass die Ländereien der Hafezis geerbt waren – und nur ein Bruchteil dessen, was die Familie unter dem Schah besessen hatte. Dieses Detail hätte nicht gut in die Lektion gepasst, und es war eine traurige Vorstellung, dass es im neuen Iran unmöglich war, durch eigener Hände Arbeit aufzusteigen. Kein
shalizar
-Besitzer macht ein Vermögen allein durch den Verkauf von Reis. Er muss seine Pacht bezahlen und Bestechungsgelder und Zinseszins. Saba weiß das, hat mit ihren Mathelehrern die Berechnungen angestellt, hält sich aber an das Beispiel ihrer Mutter und vergisst, es zu erwähnen.
    »Und was steht da?« Ponneh zeigt auf eine Bildunterschrift, doch Saba hört nicht mehr hin.
    »Da wohnt Mahtab jetzt«, sagt sie und betrachtet den opulenten Speisesaal mit seinen üppigen Vorhängen und glitzernden Dekozweigen und befrackten Männern.
    Die anderen schweigen einen Moment, dann murmelt Reza: »In dem Haus von dem amerikanischen Schah?«
    »Ich mein doch nicht genau da«, sagt sie. Sie holt zwei andere Zeitschriften hervor, die sie in ihren Rucksacktaschen versteckt hatte. Sie blättert die Seiten durch, die alle typische Bilder amerikanischen Lebens zeigen – wallendes Haar und Farbfernseher. Cabrios und Apfelkuchen. Hamburger, Zigaretten und stapelweise Musikkassetten. Eine ausdruckslose Statue mit einer Fackel in der Hand. Kleine Lokale für die Bauernschicht, in denen es Pfannkuchen zum Frühstück gab.
    Dann zieht Saba aus einer der Illustrierten drei
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