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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall
Autoren: Pearson Mary E.
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herrscht auch nicht immer dort Gerechtigkeit, wo sie angebracht wäre. Trotzdem – der heutige Tag fühlt sich gut an, so rundum gut, wie ich es Mr Nestor heute Morgen geschildert habe. Und das reicht manchmal schon.
    Ein zu drei Vierteln voller Mond und unzählige Sterne werfen ihren silbernen Schein auf die Landschaft, die wir heute Morgen durchquert haben. Wir erkennen kaum etwas wieder. Die leuchtend bunten Bäume, die uns bei Tag sofort ins Auge gestochen sind, mussten ihre Vorrangstellung an den Himmel abtreten, der die Erde mit seinem fahlen Licht verwandelt. Auf der Rückbank tuscheln und kichern Mira und Aidan, ab und zu quietscht einer von beiden und zeigt auf eine Sternschnuppe. Seth hat Lucky an sich gezogen, oder aber Lucky hat sich an ihn gekuschelt. Leider bin ich nicht so mutig.
    Als wir am Ortsschild von Drivby vorbeikommen, seufzt Mira und sagt: »Ach bitte, Des, erzähl uns noch eine von deinen Geschichten. Nur noch eine letzte.«
    »Was für eine Geschichte meinst du?«
    »Na, so eine über erstaunliche Zufälle. Du kennst doch so viele.«
    »Au ja, erzähl uns noch eine«, stimmt ihr Aidan zu.
    Seth schaut zu mir rüber, und ich sehe sogar im Halbdunkeln, dass er erstaunt die Augenbrauen hochzieht. Dass Aidan mich bittet, eine meiner Zufalls-Geschichten zu erzählen, macht den heutigen Tag endgültig zu einem ganz besonderen.
    »Na gut.« Ich weiß gar nicht, ob ich noch eine spannende Geschichte auf Lager habe … ach, doch! »Es waren einmal vier junge Leute, alle sehr intelligent, vor allem der eine, die unternahmen einen Ausflug. Alles sprach dafür, dass der Ausflug voll in die Hose gehen würde. Es war nämlich ganz genau so ein Tag. Ein Tag, an dem von Anfang an für jeden Einzelnen der vier alles schiefgegangen war. Aber der Tag hatte auch etwas Mitreißendes, einen Schwung, den sich die vier nicht recht erklären und dem sie sich nicht entziehen konnten. Und das Erstaunlichste daran war – und damit wären wir beim Thema ›unglaublicher Zufall‹ –, dass es keiner der vier auch nur versuchte. Sie ließen sich von einer ihnen unbegreiflichen Kraft davontragen. Und einer von ihnen –
eine
von ihnen – fand unterwegs etwas wieder, das sie verloren hatte – von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass es ihr fehlte. Was sie fand, war aber nichts, das man anfassen kann, sondern es waren Dinge wie Versöhnung, Zustimmung, vielleicht auch Gerechtigkeit, und das war umso erstaunlicher, denn ungreifbare Dinge sind viel schwerer zu finden als greifbare. Aber ihre Freunde halfen ihr, und acht Augen sehen immer mehr als zwei. Vier ist sowieso eine Glückszahl.
    Ach ja, und dann war da noch ein Hund. Den darf ich natürlich nicht einfach weglassen. Ein supersüßer Hund namens Lucky, aber niemand wusste, dass es ein Hund war, das wusste nur der Junge, der ihm den Namen gegeben hatte. Dieser Junge konnte Luckys Hundenatur unter dem wolligen Fell erkennen. Er konnte ihn sogar dazu bringen, dass Lucky nicht mehr glaubte, das zu sein, was andere Leute in ihm sahen. Lucky war ein ganz normaler Hund, auch wenn er nicht so aussah.
    Und dann … dann geschah das Allererstaunlichste, Allerunerklärlichste:
Der Tag nahm kein Ende.
Er dauerte ein ganzes Leben lang, und keiner der vier konnte ihn je vergessen, weil er sie alle vier überallhin begleitete. Der Tag hörte auch nicht auf, als sich die vier voneinander verabschieden mussten. Sie nannten ihn ›der Tag, der niemals aufhörte‹. Ich gebe ja zu, es klingt unwahrscheinlich, aber so hat es sich zugetragen. So wahr in meiner Brust ein Affenherz schlägt!«
    Mira seufzt wieder. »Das war eine wahnsinnig schöne Geschichte, Des. Ich glaube, von allen deinen Geschichten ist das meine Lieblingsgeschichte.«

38
    Es ist noch eine Meile bis Hedgebrook, da macht Seth eine Bemerkung über den Verkehr.
    »Ich hab auf dieser Straße noch nie so viele Autos gesehen«, sagt er, und seine Stimme steigt zum Satzende hin an. Es ist keine Feststellung, sondern eine Frage. Mira und Aidan setzen sich gerade hin und spähen über unsere Rücklehnen.
    »Was glaubt ihr, was da los ist?«, fragt Mira.
    Keiner antwortet ihr. Dabei bin ich eigentlich sicher, dass Aidans und Seths Phantasie genauso mit ihnen durchgeht wie meine Phantasie mit mir. Hat uns der Direktor zur Fahndung ausgeschrieben? Durchkämmen Hundertschaften von Polizisten die Gegend? Glauben die Lehrer, ich sei endgültig durchgedreht und könnte meinen Mitschülern etwas antun? Endet der Tag
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